Gedichtband von 1988 aus der Weißen Reihe – Lyrik international bei Volk und Welt – 1967-1988
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Manfred Jähnichen beim Verlag Volk und Welt, Berlin (DDR), nachgedichtet aus dem Makedonischen von Waltraud und Manfred Jähnichen
Das poetische Werk von Blaže Koneski ist durch die frühe Begegnung mit der literarischen Folklore geprägt. „In meinem Vaterhaus hörte ich die Lieder und Legenden von den alten Leuten“, erzählt der 1921 in einem makedonischen Dorf geborene Dichter, „und sie haben mich gelehrt, meiner Lebensphilosophie Ausdruck zu geben, meinen Zweifeln, den Dingen, die mich bewegten oder erbitterten. In vielen Gedichten habe ich Themen aus der mündlichen Überlieferung aufgegriffen, wobei ich bestrebt war, die alten Botschaften in modere Form zu kleiden und sie so abzuwandeln, wie es dem Denken und Fühlen der heutigen Menschen entspricht.“
Thematisch weit gefächert – von der nationalen Geschichte bis zu weltliterarischen Gegenständen, von Liebes- und Naturlyrik bis zum philosophischen Traktat – ,von charakteristischer Einfachheit und Strenge der künstlerischen Mittel präsentieren sich Koneskis Verse in unserer Auswahl, die das Gesamtwerk dieses Autos bis zur jüngsten Veröffentlichung von 1987 berücksichtigt.
Die Gedichte in diesem Band wurden folgenden Ausgaben entnommen:
Poezija, erschienen bei Kultura, Makedonska kniga, Misla, Naša kniga, Skopje 1981
Češmite, erschienen bei Makedonska kniga, Skopje 1984
Poslanie, erschienen bei Kultura, Skopje 1987
Nachwort von Manfred Jähnichen
Dichtung hat in Makedonien – man verstehe das richtig – über Jahrhunderte hin eine Art sakrale Funktion. Einem Volke, das sich bis zu seiner nationalen und sozialen Befreiung vorwiegend in der mündlich tradierten Volkspoesie artikulieren mußte, war sie vor allem Ausdruck der eigenen Identität, war aber auch Zufluchtsstätte und Trost in den Zeiten fremdländischer Herrschaft durch die Türken, die über ein halbes Jahrtausend währte und mit dem 1. Balkankrieg 1912 nicht aufhörte. Nun aufgeteilt zwischen der serbischen, bulgarischen und griechischen Bourgeoisie, wurde das makedonische Volk weiter national und sozial unterdrückt und erhielt seine erhoffte Freiheit erst im Völkerverband des sozialistischen Jugoslawien. Auf der denkwürdigen Sitzung am 2. August 1944, der ersten Tagung der antifaschistischen Volksbefreiungsversammlung Makedoniens im Kloster Prohor Pčinjski, wurde – noch während die Kämpfe gegen die faschistischen Okkupanten anhielten – die Republik Makedonien föderativer Staat in der Gemeinschaft der jugoslawischen Völker deklariert, und man begann sofort mit der Kodifizierung des Makedonischen als Schriftsprache. Vielleicht erklärt sich aus diesen historischen Gegebenheiten, aus der langen Leidensgeschichte dieses Volkes und seiner steten Sehnsucht nach einem freien und würdigen Leben, nach einer eigenen Sprache und Literatur, ja Kultur überhaupt, daß die Dichtung hier auch heute noch so eine ursprüngliche Wirkung hat. Viel intensiver als in anderen europäischen Ländern leben die Makedonen im Alltag mit ihrer Poesie, mit dem Gedicht, mit ihren Dichtern. Das trifft in besonderem Maße auf Blaže Koneski zu, und zwar auf sein gesamtes wissenschaftliches und lyrisches Wirken. Er hatte in Belgrad und Sofia Slawistik studiert und war seit 1945 einer der ersten, die die Ausbildung der makedonischen Schriftsprache beförderten, ihre historischen Grundlagen erforschte. Bereits 1952 legte er eine normative Grammatik vor und 1965 eine Geschichte der makedonischen Sprache. Er spürte die verschollenen Werte der älteren makedonischen Literatur auf, untersuchte die Sprache der Volkspoesie und war der verantwortliche Redakteur des ersten makedonischen Wörterbuchs in drei Bänden (erschien 1961-1966). Trotz dieser umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten, die bis heute andauern, fand der bedeutende Slawist, Literaturhistoriker und Folklorist, Essayist und Kritiker, Kultur- und Wissenschaftspolitiker immer Zeit für das eigene poetische Schaffen. Es war und ist ihm wohl die beste Aussageform, sich subjektiv über die Befindlichkeit des Menschen auszusprechen. Blaže Koneski verkörpert so jene heute seltene Synthese von Wissenschaftler und Dichter, die in seiner großen PErsönlichkeit begründet ist, ihre Wurzeln wohl aber in der besonderen Geschichte und Entwicklung seines Landes hat und in der Region, in der er aufwuchs.
Geboren am 19.12.1921 in Nebregovo, einem Dorf in Mittelmakedonien, das unweit der alten legendären Feste und Stadt Prilep liegt, lernte er hier las Junge die makedonische Volkspoesie kennen, deren Schönheit und Reichtum ihn bis heute inspiriert. Davon zeugen nicht nur das Poem „Krale Marko“, sondern auch Sujets und Motive vieler anderer Gedichte wie „Der kranke Dojcin“, „Das Kloster des Marko“, „Wegnahme der Kraft“ oder „Sterna“. Sie zeigen Größe und Grenzen des Menschen, seine Macht und Ohnmacht und treffen Aussagen auch für unsere Zeit. Die Volkspoesie hat Koneski wie ein Fluß begleitet, „der dahinschnellt und anschwillt und neben dem der Wanderer schreitet'“, wie es in dem Gedicht „Zwiegespräch mit einem Kind“ heißt. Durch sie und über sie wollte und will Koneski das Kulturgut seines Volkes bewahren und zugleich produktiv machen in der eigenen literarischen Leistung. Tradition begreift er so vor allem als verpflichtende Weiterführung und Herausforderung bei der Suche nach neuen Wegen der Poesie. Er will der Dramatik menschlichen Seins nachspüren, um die Menschen für ihre eigenen und die Probleme anderer zu sensibilisieren. Nicht zufällig beruht die Spannung vieler seiner Gedichte auf einer beziehungsreichen Polarität, dem plötzlichen Wechsel von Stimmungen und Emotionen, der Gegensätzlichkeit von Einst und Jetzt, Alter und Jugend, Trauer und Freunde, Demut und Rebellion.
Koneski ist ein Dichter, der nicht aus der Ruhe des kontemplativen Rückzugs schreibt, sondern mitten im Leben steht. Er hat sich stets den politischen und gesellschaftlichen Aufgaben gestellt, sie mit der ihm eigenen Verantwortung erfüllt und hohe Funktionen ausgeübt: als Rektor der Universität Skopje (1968-1970), als erster Präsident der 1967 gegründeten Makedonischen Akademie der Wissenschaften und Künste, als Vorsitzender des makedonischen bzw. jugoslawischen Schriftstellerverbandes, als langjähriger Abgeordneter des Bundesparlaments der SFR Jugoslawien, um nur einige der wichtigsten zu nennen. Es bedurfte schon großer Konzentration und Disziplin bei dieser zeitraubenden Tätigkeit in Lehre, Forschung und offiziellen Ämtern, Dichter nicht nur zu sein, sondern auch zu bleiben. So wichtig für ihn dabei die nationale Tradition und das stimulierende Umfeld auch waren und sind, entscheidend bleibt doch stets die Begabung, das Talent, um eine originäre poetische Botschaft zu formulieren. Seine Dichtung, geprägt von großem humanistischem Engagement, ist so eine Poesie der geschärften Sinne für Naturbilder, Lebensbilder und Bilder über die Gesetze des Lebens.
Daß die Wurzeln dieser Poesie weit zurückreichen, bis in die fernen Tage seiner frühen Kindheit, hat Koneski immer wieder betont. Bereits im täglichen Leben, quasi an der Quelle, lernt er die Volkssagen, Volkslieder und Legenden kennen, als erzählenden Vortrag der Alten oder als Chorgesang der Frauen. Sie spiegelten die ganze Skala menschlichen Seins wider, das leidvolle Schicksal, das die Makedonen jahrhundertelang zu tragen hatten. Vom stolzen, starken Königssohn Marko war da die Rede und seinen Kämpfen gegen die Übermacht derFeinde und des Schicksals, aber auch von der nie versiegenden Kraft derHoffnung. Gesungen wurde hier auch !von den schönen Frauen“ seines Volkes, die – wie es Koneski später umschreiben sollte – „so schnell verwelken wie eine Pfirsischblüte und wie im Mai der Flieder“. Erzählt wurde aber vor allem und immer wieder vom makedonischen Volk, das sich trotz gnadenloser Unterdrückung die Freiheitssehnsucht bewahrte: „Trenne, mein Liebster, zwei Fäden vom Herzen, /einer sei schwarz, und der andre sei rot,/ der eine verkörpere all unsre Schmerzen,/ der andre die Sehnsucht, die in uns loht“, dichtete Koneski 1954 in der „Stickerin“ und schrieb damit die Ambivalenz solchen Schicksals poetisch fest. Aus der Vorkriegszeit – Koneski hatte nach dem Abitur in Kragujevac mit dem Slawistikstudium in Belgrad und Sofia begonenne – gibt es ein Gedicht, das er „Erinnerung“ genannt und mit 1939 datiert hat: „In der Erinnerung blieben nur die weißen Nebel/ und ein öder Herbsttag über unsren Feldern“, heißt es da über den Abschied von seiner Heimat. Und weiter: „Regengrau floh der Zug damals dahin,/ in die Dunkelheit hat er hineingeschrien, / aus mir schrie die Qual, ich bin/ der Sohn eines Volkes, das verdammt zu sein schien“. Diese Verse stehen deutlich in der TRadition, wie sie vor allem Kočo Racin (1908 geb., 1943 als Partisan gefallen), der Sänger des sozialen Leids und Protestes der makedonischen Poesie der 30er Jahre, geprägt hatte. Sie zeigen jenes wache Gespür für soziale Gerechtigkeit und nationale Würde, das fortan – und zwar nicht nur in der Poesie – Wirken und Werk von Blaže Koneski bestimmen sollte. Seine Lyrik, die er 1945 mit dem Poem „Die Brücke“ einleitete und deren vorläufig letzter Band „Botschaft“ von 1987 ist, legt davon Zeugnis ab.
Den Anfang bilden die optimistischen 40er Jahre des sozialistischen Neubeginns, Koneskis schon genanntes Poem „Die Brücke“ – Verse von beflügelnder Aufbaustimmung – oder die Sammlung „Die Erde und die Liebe“ (1948) sind sein Beitrag im Chor dieser Lobpreisungen der neuen Gesellschaftsordnung ohne Krieg und Ausbeutung. Ein heroisch patriotischer Grundton, der uns heute pathetisch anmutet, drückt das damalige Zeitgefühl aus. Motive der Volkstradition werden schöpferisch verarbeitet, wie das des „Teškoto“, des jahrhundertealten Tanzes, der das Leben des Menschen von der Wiege bis zum Tod begleitete. Aber auch lyrisch gestimmte Impressionen zeichnen diese frühen Gedichte aus. Sie sind, wie „Weizen“, „Roggen“, „Herbstmorgen“ oder andere zeigen, sehr präzis erfaßte Naturbilder von einer beziehungsreichen Metaphorik, die in der Andeutung die Ausdeutung anregen. Mit dem „Roggen“ etwa assoziiert der Dichter „erzwungene Bescheidung geduckten Alters, Ergebensein dem Schicksal“, „Weizen“ dagegen ist ihm das „trotzige Aufgerecktsein der Mädchen“, die an der Schwelle von Keuschheit und Begehren ihren Lebensanspruch anmelden. Diese Tendenz, die dem damals dominierenden normativen Optimismus so gar nicht entsprechen wollte, verstärkte sich mit der Zunahme des mediativ-reflexiven Moments, der Betonung des lyrischen Ichs besonders in den späteren Gedichten der 70er und 80er Jahre, die mehr und mehr Bilanzcharakter tragen. Damals jedoch, in den ausgehenden 40er Jahren, ließ eine solche philosophische Vertiefung und Subjektivierung aufhorchen, wie etwa in dem Gedicht über den „Engel“ in der Sophienkirche“ zu Ohrid. Er ist dem Dichter Symbol einer großen Kulturtradition aus der byzantinischen Epoche und ist ihm Anlaß für eine nachdenkliche Betrachtung über die Schönheit, über die Kunst schlechthin, die überdauern wird, nicht aber der Mensch, der sie schuf. Die frühen 50er Jahre markierten für alle jugoslawischen Literaturen einen wichtigen Einschnitt. Sie sprengten die zum Hindernis gewordenen kulturpolitisch und ästhetisch engen Normen der Zeit unmittelbar nach der Befreiung. Bei Koneski findet das vor allem in den Bänden „Gedichte“ (1953) und „Die Stickerin“ (1955) seinen Niederschlag. Wie alle Sammlungen des Dichters sind auch diese vielfältig strukturiert. Doch fällt auf, daß er hier noch häufiger Motive der makedonischen Volkspoesie aufgreift, sein lyrisches Ich aber verstärkter als zuvor einbringt. Seine Poesie gewinnt damit an Eigenständigkeit der Ausdrucksweise, was zweifelsohne jener wachsenden Subjektivierung entsprach, wie sie für die makedonische Lyrik seit Mitte der 50er Jahre charakteristisch wurde. Koneski, den mancher Zeitgenosse wegen seiner tiefen Volksverbundenheit zu eng als Traditionalisten sah, hat gerade mit der „Stickerin“ einen der wichtigsten Lyrikbände für seine Literatur jener bewegten 50er Jahre vorgelegt. Sicher hat er sich hier auch an Heines Vorbild orientiert, zumal Koneski – um die Geschmeidigkeit seiner Muttersprache zu entfalten – stets aus vielen Sprachen übersetzte und kurz zuvor u.a. Heines „Lyrisches Intermezzo“ nachgedichtet hatte. Vielleicht ließen sich auch noch andere Bezüge oder typologische Analogien finden. Doch wichtiger ist, daß er es in Gedichten wie „Der kranke Dojčin“ vermochte, das Ringen des Menschen mit der Gewalt des Schicksals als etwas Gegenwärtiges, als einen immerwährenden Kampf zu gestalten. Das erhöht entscheidend die Identifikationschance seiner Lyrik. Und wichtig ist weiter, daß er sich dabei einer SPrache bediente, deren ursprüngliche Wurzeln der makedonischen Volkssprache entstammten und die er auf diese Weise oft erst wieder entdeckte.
Bemerkenswert ist – was später für den Zyklus mit epischen Gedichten wie „Wegnahme der Kraft“ oder „Das Kloster des Marko“ nochwesentlicher werden sollte – die ungemeine Dynamik und Dramatik. Die Intensität einer sonst gezügelten inneren Unruhe und Empörung gegen übermächtige Kräfte brach hier aus dem stets so disziplinierten Blaže Koneski geradezu elementar heraus. Das ließ ihn das jeweilige Schicksal des Aufbegehrenden als tragisch empfundene Existenz widerspiegeln. Dominierend in der Sammlung „Die Stickerin“ sind freilich solche Gedichte wie „Lied der Weinstöcke“ oder „Eiche“, „Der Stamm“ oder „Schwalben“. Sie ergründen in einer auf den Punkt hinzielenden feinsinnigen Beobachtung, wie alles in der Natur ineinandergreift, der saftige Efeu der alten sterbenden Eiche noch einmal Schönheit bringt; die fallenden Blätter den Stamm für kurze Zeit goldgelb umringen und ihm so seine Erinnerung bewahren; die Schwalben – als schnelle Weberschiffchen der Tag- und Nachtscheide – sich ewig in ihrem Tun wiederholen. In dieses Bezugssystem der Natur ist der Mensch fest eingebunden. Das zeigen Gedichte wie „Schlafendes Kind am See“, „Aschenputtel“ oder „Der Wolf“. Dabei ist die Natur mehr als nur Spiegelbild zur Verdeutlichung von Stimmungen und Gefühlen. Der Mensch und die ihn umgebenden Realität werden in ihrem Aufeinandereinwirken, ihrem sinnvollen dialektischen Verhältnis gezeigt: Der See webt an der Seele des Kindes; die Ackerkrume in der Brust des Aschenputtels ist Metapher für die schmerzhafte Bindung an die verlorene Mutter; der Schatten des Wolfs der Liebe geht um im vereisten Wald des Herzens und stört es auf. Andere Gedichte, wie „Sinnspruch“ oder „Botschaft“, erinnern und verteidigen die elementaren Grundrechte des Menschen mit oft gültiger sentenzhafter Kürze. Die Bilder sind vorwiegend dem spezifischen makedonischen Erfahrungsfeld des Dichters entnommen. Ihre Aussage ist aber – und das gilt für Koneskis Poesie schlechthin – universal, oft in aphorismenartige Gnomik gefaßt: „Wenn der Mensch das Recht auf sein Lachen verliert/ und das Recht, vernünftig zu leben/ und die Wahrheit zu künden/ und sich wichtig zu sein/ und Frau und Kind zu lieben, / dann bleibt ihm das Recht auf Traurigkeit/ daß er stirbt vor Leid, denn so ein Mensch wird glücklos streben/ sein ganzes Leben.“
„Пословица“ Кога човек ќе загуби право на смеа И право да биде умен Да дели правда Да се прави важен И право дете и жена да сака, Тогаш — Му останува правото Да биде тажен Да умира од мака Да чемрее довек — Тој човек. | „Sinnspruch“ Wenn der Mensch das Recht auf sein Lachen verliert und das Recht, vernüftig zu leben und die Wahrheit zu künden und sich wichtig zu sein und Frau und Kind zu lieben, dann – bleibt ihm das Recht auf Traurigkeit, zu sterben vor Leid, denn so ein Mensch wird glücklos streben sein ganzes Leben. |
Diese Verse machen die Tragik menschlicher Existenz bewußt und sollen dennoch aktivieren für ein Leben mit allen Konflikten und Schwierigkeiten. Mit geradezu emotionaler Suggestivität des Wortes weiß Koneski so den Leser aufzustören und als Beteiligten zu gewinnen für die ihn bewegenden Fragen. Nach einer längeren Pause, in der er frühere Sammlungen ergänzte oder umarbeitete, neben seinen wissenschaftlichen Studien einen Erzählungsband „Weinstöcke“ (1955) und Essays „Aufsätze und Betrachtungen“ (1972) veröffentlichte, hat Koneski dann 1974 den Lyrikband „Notizen“ vorgelegt, für den er u.a. 1975 den höchsten jugoslawischen Literaturpreis, den Njegoš-Preis, erhielt. Diese Notizen, Gedichte sowie poetischen Prosastücke hat er bei einer späteren Ausgabe von 1979 noch um die „Neuen Zyklen“ und „Beflügelte Gedichte“ erweitert. Wenn man genau hinsieht, bleibt sich Koneski in diesen Gedichten in vielem treu und ist doch zugleich auch wieder ein anderer, so daß man in seinem heimischen Kulturkontext von einer neuen Schaffensperiode Koneskis seit den 70er Jahren spricht. Treu bleibt sich Koneski im mediativ-reflexiven Grundgestus und der philosophischen Verdichtung seiner Lyrik. „Drei dicke Frauen“, „Gespräch mit einem Knd“, „Odysseus“ oder „Don Quixote“ stehen dafür gleichsam paradigmatisch: „An der endlosen Front dieser Welt/ erhielt auch er einen Sektor/ auf daß er verteidigt, auf daß er standhält;/ verfluchte Stätte,/ in unversöhnliche Seiten geteiltes Feld,/ auf der einen Seite er, ein trauriger Hektor./ Aus diesen Grashalden, dieser Schlamm/ dröhnt kein Schlachtengetümmel./ Schweine/ mit winzigen Hufen zertreten ihn,/ zerquetschen ihn wie Knoblauch mit dem Stößel,/ Säue/ machen ihn gänzlich zunichte – / auf daß andere auf andern Schlachtfeldern/ ruhmreich/ eingehen in die Geschichte.“
Noch deutlicher als zuvor artikuliert Koneski hier das Gebundensein der individuellen Existenz in Zeit und Raum. Doch ist sein Appell, dieses Dasein als die Chance des Subjekts zu nutzen, unüberhörbar. Gerechtigkeit und Humanität, Würde und Toleranz, Güte und Grüße – das sind Werte, die Koneski immer besonders herausstellt. Er versteht darunter auch die Verantwortung des einzelnen für die Aufgaben der Gemeinschaft, wie er es selbst ja immer vorgelebt hat. Neu und andersartig ist jetzt eine bestimmte Wehmut, gleichsam die Sehnsucht nach unwiederbringlicher Jugend. Die Erinnerung wird immer häufiger zum auslösenden Gedanken für das Gedichte, wie in „Verliebte Mädchen“, „Vodno“ oder „Die Uhr“. Trauer und Klage über die Endlichkeit des Lebens klingen an, wie schnell seine Grenzen ausgeschritten sind und wieviel Schmerz dem einzelnen aufgebürdet werden kann. In den „Viten“, etwa in „Leben der Tasa Bojanoska“, „Die Grablegung der Tante Menka“ oder „Orde“ – sprachlich an die mittelalterliche Viten-Literatur angelehnt -, hat er Menschen großer Leiderfahrung Denkmäler gesetzt ob ihrer Charakterstärke oder Güte, die sie trotz aller Schicksalsschwere bewahrten.
Solche Lebensbilder sind vor allem Zeugnis für die unzerstörbare Kraft des einfachen Volkes. Gerade in der Gegenüberstellung des Alternden mit Kindern oder Enkeln gestaltet Koneski die Hoffnung auf ein sinnvolles, erfülltes Dasein, das sich nicht im subjektiven Erlaubnisradius erschöpfen sollte. Einsamkeit, Krankheit, Sterben und Tod spart er dabei nicht aus, sondern er hat auch dafür einprägsame poetische Metaphern gefunden, wie etwa im Gedicht „Der Falter“: „Worin besteht dein Lieben/ ruf ich: Du läßt dich nieder wie ein Falter auf einem trocknen Baum.“
Die Gedichte seines Bandes „Brunnen“ von 1984 setzen dieses Nachdenken Koneskis über Grundfragen menschlicher Existenz fort. Viel meditiert er über das Problem des gegenseitigen Verstehens, über das Verlieren gemeinsamer Ideale, wie im Gedicht „Entzweite Brüder“, oder die zunehmende Einsmakeit, wie in den „Blumen“, „die dir allein noch ihre Freundschaft gewähren“, oder über die Liebe, um die ein alter Mensch oft betteln muß. Solche Erkenntnisse wiegen schwer. Mit einer deutlichen Tendenz zum Traktathaften, wie im Prosagedicht „Bettler“, sucht Koneski diese bitteren Wahrheit zu unterstreichen. Doch finden sich ebenfalls Gedichte des Optimismus, wie „Lied auf eine Sängerin“ oder „Der Töpfer“, der mit seinen Waren stets ein Stück eigener Kreativität und Persönlichkeit weitergibt.
Auch das heranwachsende Bäumchen, das weiß, es hat Zeit zu reifen trotz aller Ungeduld des Menschen, vermittelt solche Erfahrung. Hier wie schon vorher, etwa in den Gedichten „Die Rache“ oder „Das Bündnis mit den Bäumen“, spricht Blaže Koneski seine unüberhörbare Warnung vor der Zerstörung des notwendigen Gleichgewichts der Natur aus – denn ihre Rache könnte tödlich für den Menschen enden. In diesen eindringlichen, sprachlich verknappten Appellen spiegelt sich die weltanschauliche Position des Dichters, sein Ringen um Bestand und Erhaltung der Gesetzte des Lebens. Die Gedichte seines vorläufig letzten Bandes „Botschaft“ von 1987 schließen daran direkt an. Sie reflektieren vor allem über die Endlichkeit des Menschen in Zeit und Raum, sein Überdauern, das nur in der Kette der Generationen garantiert ist, die darum nicht abreißen darf, und ihm – im übergreifenden Sinne – Ausdruck historischer und kosmischer Prozesse ist. Koneski arbeitet in dieser Sammlung mit sehr einfachen, dafür aber um so einprägsameren Bildern von klarer Gedankenführung. Wissend, daß er an der Schwelle des Alters steht, will er seine Einsichten und Erkenntnisse jedem verständlich als „Botschaften“ weitergeben. Von der nie versiegenden Macht der Poesie – Metapher für Kreativität – ist da die Rede und von der Disziplin des Subjekts, allen bitteren Erfahrungen und Resignationen zu widerstehen, um Mensch zu bleiben, offen für die Hilfe von anderen und an anderen. Auch sucht er den Blick für die Schönheiten des Lebens zu schärfen, die Zeichen der Natur zu begreifen in Gedichten wie „Flagge“, „Gute Kunde“, „Liebe“, „Schild“ aus dem Zyklus über die Vögel auf der Linde in seinem Hofe. Andererseits beschwört er die mitreißende, ja törichte Kraft der kindheit und Jugend, um das Abtreten der Alten als zu akzeptierenden Prozeß zu zeigen, zugleich weist er auf das Verbundensein mit den Toten hin, die wir in unserer Erinnerung tragen, sogar im Traum. Die Existenz des einzelnen in den wechselnden Lebenslatern wird so zum Symbol der Beständigkeit des Seins, bildet in der Verkettung von Generationen, von Völkern die menscheit schlechthin, wie es sein abschließendes Gedicht „Botschaft“ verkündet: „Wir Menschen sind wie das Gras, man zertritt es, es verdorrt , / erstickt – , es vergeht./ Nur die Erde bleibt.“ Dieses „die Erde leibt“ ist dem Dichter wichtig. Es ist ihm das Grundelement allen Lebens, das unantastbar bestehen sollte, zerstört es der Mensch nicht selbst.
Die epischen Gedichte seiner Sammlung, angefangen vom „Kranken Dojčin“ bis zum Epilog „Hundehügel“, sind in der Komposition breiter, fast balladesk angelegt. Sie bilden eine Art Zyklus, an dem der Dichter über zwei Jahrzehnte gearbeitet hat, und unterstreichen, wie bedeutsam ihm gerade diese Gedichte in ihrer motivisch-strukturellen Nähe zur Volkspoesie sind. In Poemen wie „Wegnahme der Kraft“, „Die Sterna“ oder „Das Kloster des Marko“ ist ihm die Synthese von Poesie und Philosophie besonders eindrucksvoll gelungen, die im Grunde sein ganzes dichterisches Werk durchzieht. In ihnen greift ervorwiegend Themen aus der Volksliedersammlung von Marko Cepenkov (1829-1920) auf, zeigt er die Auseinandersetzung des einzelnen mit von ihm nicht steuerbaren bösen Gewalten oder feindlichen Kräften. Koneski verbildlicht dieses Ringen bald als personfizierte Natureingriffe, wie im Falle der „Sterna“, bald als Aufbäumen gegen Mächte, die dem Menschen, wie in „Wegnahme der Kraft“, seine Identität rauben wollen. Er sucht damit ein Gleichnis von der menschlichen Existenz überhaupt zu geben, die historisch wie gegenwärtig stets Widerstreit bedeutete und bedeutet, Werden und Vergehen und wieder Werden. Denn trotz aller Niederlagen und Tragik wird der Mensch seinen Weg des trotzigen Vorwärtsschreitens gehen und sich so als Mensch, als Individualität wie als Gattungswesen beweisen und behaupten. Koneskis Credo als Dichter und engagierter Humanist läßt sich nicht besser als mit diesen seinen Versen zusammenfassen und dokumentieren: „Mein Gott,/ in deinen Händen rußt die Fackel, mit der du mir die Flügel sengtest,/ mein ganzes Sein empört sich gegen dich,/ mein Herz verflucht dich,/ von dir erwarte ich nicht Antwort mehr,/ erniedrigt/ fühl ich dennoch etwas in mir, was dich überragt,/ was du vielleicht einmal besaßest, doch verloren hast,/ als du uns schufst, um dich der Mühsal zu entledigen,/ allein/ muß ich so meinen Weg ins Leben durch den Nebel suchen.“
Februar 1987, Manfred Jähnichen
Zur Person Manfred Jähnichen – deutscher Slawist und Übersetzer
Nach Studium der Slawistik, Romanistik und Philosophie, welches er mit einem Diplom in den Fächern Bohemistik/Slowakistik, Russistik und Serbokroatistik abschloss, war Manfred Jähnichen von 1956 bis 1970 wissenschaftlicher Assistent bzw. Oberassistent am Slawischen Institut der Ostberliner Humboldt-Universität, ab 1970 daselbst Dozent und ab 1973 Professor für slawische Kulturen und Literaturen mit dem Schwerpunkt west- und südslawische Kulturen und Literaturen (bis 1998), 1990–1994 Direktor des Instituts für Slawistik. Ab Mitte der 1970er Jahre initiierte er zahlreiche Konferenzen zur Bohemistik/Slowakistik und Jugoslawistik. Einen Schwerpunkt seiner Forschung bildeten von Anfang an Fragen der slawisch-deutschen kulturellen Wechselbeziehungen, der Übersetzung sowie literarischer Rezeptionsprozesse.
Als Übersetzer und Herausgeber widmete sich Jähnichen vor allem tschechischen, slowakischen und südslawischen Autoren. Mit einer Reihe von Anthologien und der Verortung der aufgenommenen Texte im jeweiligen kulturgeschichtlichen Zusammenhang setzte er Maßstäbe in der Vermittlung west- und südslawischer Literaturen in den deutschsprachigen Raum. Seine Anthologie „Jugoslawische Erzähler von Lazarević bis Andrić“ (1966, 1976) ist die erste repräsentative Anthologie jugoslawischer Literatur, die in der DDR erschien, und auch ein Zeugnis der Öffnung gegenüber Jugoslawien ab den späten 1950er Jahren sowie des Aufschwungs komparatistischer Forschung in der DDR.
Manfred Jähnichen erhielt zahlreiche wissenschaftliche und kulturelle Auszeichnungen, darunter viele aus Ländern Ost- und Südosteuropas. Er war Mitglied des Collegiums Europaeum Jenense und wurde im Jahr 2005 Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.
Inhalt der Gedichtsammlung: eine Auswahl von Gedichten von Blaže Koneski, übersetzt ins Deutsche von Manfred Jähnichen