Einbürgerung- Wie weit ist der Weg zum deutschen Pass?

Die Ampel-Koalition* plant, die Voraussetzungen für Einbürgerungen zu lockern. Wer kann sich in Deutschland einbürgern lassen? Wie viele Personen tun das? Wie sieht es in anderen Ländern aus? Und hilft Einbürgerung bei der Integration?

Die Antworten liefert der MEDIENDIENST INTEGRATION, eine Informations-Plattform für Journalistinnen und Journalisten, die sich mit Fragen rund um die Themen Flucht, Migration und Diskriminierung beschäftigt:

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Ende November einen ersten Gesetzentwurf für eine Reform des Staatsbürgerschafts vorgelegt. Danach sollen Einbürgerungen schneller möglich werden. Wer einen deutschen Pass beantragt, soll außerdem nicht mehr seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssen. Bereits im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP eine solche Reform skizziert. Wenn alles gut laufe, könnten die Änderungen im Sommer 2023 in Kraft treten, kündigte Faeser vor kurzem an. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem folgende Änderungen vor:

  • Die für die Einbürgerung erforderliche Aufenthaltsdauer in Deutschland soll von derzeit acht auf fünf Jahre verkürzt werden.
  • Bei „besonderen Integrationsleistungen“ soll eine Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein, etwa wenn sich jemand ehrenamtlich engagiert oder besonders gut Deutsch kann.
  • Mehrstaatigkeit soll künftig akzeptiert werden.
  • Bei Menschen, die älter als 67 Jahre sind, soll auf die schriftlichen Sprachnachweise auf B1-Niveau verzichtet werden. Stattdessen soll ausreichen, wenn sie sich mündlich auf Deutsch verständigen können. Damit soll die „Lebensleistung der Gastarbeitergeneration“ gewürdigt werden, für die es damals noch keine Sprachkurse gab.
  • Kinder, die in Deutschland geboren werden, können automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, wenn ein Elternteil seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland ist.

Die geplante Reform ist umstritten. Wie viele Ausländer*innen haben die deutsche Staatsangehörigkeit erworben? Wie viele haben das nicht getan – und warum? Der MEDIENDIENST beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema Einbürgerung.

Wer kann sich einbürgern lassen?

Ausländer*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben möchten, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Einen Anspruch auf Einbürgerung hat, wer:

  • seit acht Jahren dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebt,
  • sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennt,
  • zum Zeitpunkt der Einbürgerung ein unbefristetes oder auf Dauer angelegtes Aufenthaltsrecht hat,
  • seinen Lebensunterhalt eigenständig sichern kann,
  • über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt,
  • nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist und
  • den „Einbürgerungstest“ bestanden hat (hier gibt es Ausnahmeregelungen),
  • seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt (auch hier gibt es Ausnahmeregelungen).

Für Antragsteller*innen, die nicht alle Voraussetzungen erfüllen, gibt es die Möglichkeit einer „Ermessenseinbürgerung“. In diesen Fällen muss die Einbürgerungsbehörde entscheiden, ob ein „öffentliches Interesse“ an der Einbürgerung besteht und einige Mindestanforderungen erfüllt sind.

Die Einbürgerung kostet 255 Euro für Erwachsene und 51 Euro für minderjährige Kinder, die zusammen mit ihren Eltern eingebürgert werden.

Was sind die Vorteile einer Einbürgerung?

Ausländer*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle deutsche Staatsbürger*innen. Sie können an allen Wahlen (Bundes-, Landestags- und Kommunalwahlen sowie Volksentscheiden) teilnehmen und selbst für politische Ämter kandidieren. Sie können in allen Ämtern der Bundesrepublik arbeiten – zum Beispiel bei der Polizei oder bei der Bundeswehr. Sie können mit dem deutschen Pass visafrei in viele Länder der Welt einreisen und genießen das Recht auf EU-Freizügigkeit – das heißt: sie können in alle sogenannte Schengen-Länder einreisen und sich dort aufhalten.

Wie viele Menschen lassen sich einbürgern?

2021 haben sich rund 131.600 Menschen in Deutschland einbürgern lassen. Damit stieg die Zahl der Einbürgerungen um knapp 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Einbürgerungen von Syrer*innen ist stark gestiegen: 2021 wurden 19.100 syrische Staatsangehörige eingebürgert, das waren fast dreimal so viele wie 2020. Viele der syrischen Schutzsuchenden, die zwischen 2014 und 2016 nach Deutschland kamen, erfüllen mittlerweile die Voraussetzungen für eine Einbürgerung.

Syrien löst die Türkei damit als häufigstes Herkunftsland bei Einbürgerungen ab. Die häufigsten Herkunftsländer waren 2021:

  • Syrien: Rund 19.100 Einbürgerungen (+185 Prozent)
  • Türkei: Rund 12.200 Einbürgerungen (+5 Prozent)
  • Rumänien: Rund 6.900 Einbürgerungen (+17 Prozent)

Zwischen 2000 und 2020 wurden insgesamt mehr als 2,7 Millionen Menschen in Deutschland eingebürgert. Mehr als 700.000 von ihnen waren Türk*innen.

Wie viele könnten sich einbürgern lassen?

Lediglich 2,5 Prozent der Personen, die nach der aktuellen Rechtslage Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit haben, haben sich 2021 einbürgern lassen – rechnet das Statistische Bundesamt. Das sogenannte „Einbürgerungspotential“ wird im Verhältnis zur Zahl der Ausländer*innen berechnet, die mindestens 10 Jahre in Deutschland gelebt haben. Das sind rund fünf Millionen Menschen. Sollte die Aufenthaltszeit vor Einbürgerung auf fünf Jahre reduziert werden, würde diese Zahl nach Berechnungen des MEDIENDIENSTES bei rund acht Millionen Menschen liegen.

Die Quoten variieren deutlich zwischen den Bundesländern. Die Quote ist in Thüringen und Sachsen mit rund vier Prozent deutlich höher als in anderen Ländern wie Baden-Württemberg (2,1 %) oder dem Saarland (1,9 %). Einem Forschungsbericht der Robert-Bosch-Stiftung zufolge hängen die Quoten oft mit der Zusammensetzung der nichtdeutschen Bevölkerung in den Ländern zusammen: EU-Staatsbürger*innen würden sich eher selten einbürgern lassen – Geflüchtete hingegen viel öfter.  Fallstudien würden allerdings auch zeigen, dass Maßnahmen in den Kommunen – insbesondere Einbürgerungskampagnen – messbare Effekte haben.

Wie ist die Situation in anderen EU-Ländern?

Im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten ist der Anteil von Ausländer*innen, die sich in Deutschland einbürgern lassen, relativ gering.

Das liegt daran, dass die Voraussetzungen, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, relativ streng sind. Zum einen ist die Aufenthaltszeit vor Einbürgerung vergleichsweise lang – in der Mehrheit der Länder weltweit liegt sie bei fünf Jahren oder weniger. Zum anderen müssen Antragsteller*innen überdurchschnittlich viele Kriterien erfüllen.

Warum gibt es so wenige Einbürgerungen?

Schon seit vielen Jahren betonen Expert*innen, dass Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben möchten, zu hohe Hürden überwinden müssen. Dadurch würde ein erhebliches Einbürgerungspotential ungenutzt bleiben. Ein weiterer Grund, weshalb viele Ausländer*innen bisher auf eine Einbürgerung verzichtet haben ist, dass sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssen. Das betrifft vor allem Einwanderer*innen aus der Türkei: Die Zahl der türkischen Staatsbürger*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Laut einer Studie des „Maastricht Centre für Citizenship“ gehört Deutschland zu einer Minderheit von Staaten, die die doppelte Staatsangehörigkeit nur in Einzelfällen zulassen: In 76 Prozent der Länder weltweit wird inzwischen die doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell zugelassen.

Wie das anders gehen kann, sieht man anhand des Beispiels Schwedens: „Schweden hat eine sehr liberale Einbürgerungspolitik“, sagt Swantje Falcke, Migrationsforscherin an der Universität Utrecht. Eingebürgerte Ausländer*innen dürfen ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten. Sie können die schwedische Staatsangehörigkeit schon nach fünf Jahren beantragen – ohne spezifische Voraussetzungen wie etwa Sprach- oder Wissenstests. Das führe zur höchsten Einbürgerungsquote in Europa: knapp neun Prozent.

Fördert Einbürgerung die Integration?

Sollte das Anrecht auf die Staatsbürgerschaft eine Art „Belohnung“ für gelungene Integration sein – und erst am Ende des Prozesses stehen, wie einige fordern? Oder kann der Pass des neuen Heimatlandes Integration sogar beschleunigen? „Einbürgerung ist oft ein Katalysator für Integration“, sagt Niklas Harder vom Deutschen Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung (DeZIM).

Studien zeigen einen solchen Zusammenhang: So führte die Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland laut einer Untersuchung der Humboldt Universität und Universität Heidelberg dazu, dass die Integrationsanreize für Zuwanderer*innen stiegen. Vor allem bei Migrantinnen gab es positive Arbeitsmarkteffekte nach der Einbürgerung: Ihr durchschnittliches Arbeitseinkommen stieg, die Arbeitsbedingungen verbesserten sich, sie waren außerdem häufiger erwerbstätig und arbeiteten mehr Stunden pro Woche. „Diejenigen, die vorher benachteiligt waren, profitierten am meisten von der Einbürgerung“, sagt Harder.

Ähnliche Effekte konnten Forscher*innen in den Niederlanden und der Schweiz nachweisen. In den Niederlanden haben Forscher*innen festgestellt, dass die Perspektive einer zügigen Einbürgerung Ausländer*innen motiviert, Sprach- und Fachkenntnisse für das Berufsleben zu erwerben.

In der Schweiz haben Forscher*innen im Rahmen eines Experiments Gemeinden ausgewählt, in denen per Volksabstimmung über Einbürgerungsanträge entschieden wurde. Sie schauten sich die Personen an, die entweder knapp abgelehnt oder knapp ausgewählt wurden. Die Personen, die einen Schweizer Pass erhielten, verdienten in den folgenden 15 Jahren im Durchschnitt im Jahr 5000 US-Dollar mehr. Eine andere Studie kommt zum Ergebnis, dass die Eingebürgerten auch politisch integrierter waren als die Vergleichsgruppe: Ihre Wahlbeteiligung war deutlich höher und sie waren informierter.

Der Mediendienst ist ein Projekt des „Rats für Migration e.V.“ (RfM), einem bundesweiten Zusammenschluss von Migrationsforscherinnen und -forschern. Seit seiner Gründung setzt er sich für eine differenzierte Debatte über die Politikfelder Migration und Integration ein. 

* Mit Ampelkoalition bezeichnet man in der Bundesrepublik Deutschland die Zusammenarbeit der drei politischen Parteien SPD (rot), FDP (gelb) und Bündnis’90/Die Grünen [auch B’90/GRÜNE oder GRÜNE] (grün) zur Bildung einer Regierungsmehrheit (rot, gelb, grün = Vgl. mit einer Ampel)

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