Über das Projekt „Archive der Unsichtbaren: Frauen in den Zeitschriften aus Vardar-Makedonien zwischen den beiden Weltkriegen“

Das Zentrum für Nationalismus- und Kulturforschung (CINIK) hatte Ende 2021 das Projekt „Archive der Unsichtbaren: Frauen in den Zeitschriften aus Vardar-Makedonien zwischen den beiden Weltkriegen“ erfolgreich umgesetzt.

Ziel dieses Projekts war die Erforschung und Analyse der Sichtbarkeit von Frauen als Subjekte der gedruckten Medien der Zwischenkriegszeit des 19. und 20. Jahrhunderts, durch die kulturellen, nationalen und sprachlichen Muster aufgebaut und wieder zerstört wurden. So wurden bibliographische Funde und Autorentexte entdeckt, die von einer interessanten Frauengeschichte in der Druckkultur sprechen. Es wurden systematisierte Quellen angeboten, durch die ein breiteres Bild von Frauen in den Erzählungen der makedonischen Vergangenheit sowie ihrer Position in den nationalen Erzählungen jenseits des stereotypen Bildes dargestellt wird. Die Forschung verfolgt auch ein praktisches Ziel, nämlich die Ergebnisse in einen institutionellen Kontext zu stellen und ein Handbuch mit Empfehlungen zur Weiterentwicklung dieser Themen in den erziehungswissenschaftlichen Prozessen zu erstellen. Der geschlechtsspezifische investigative Aspekt der Presse kann zu einem besseren Verständnis verschiedener Themen im Bereich der Frauen- und Sozialgeschichte beitragen, sie einem breiteren Publikum näher bringen, wobei vielfältige Argumente und neue Sichtweisen die offizielle nationale Geschichte bereichern.

Publikation „Archive der Unsichtbaren: Frauen in den Zeitschriften aus Vardar-Makedonien zwischen den beiden Weltkriegen““, 2021

Das Forschungsteam setzte mit der Quellenarbeit mithilfe von vier unterschiedlichen Analysethemen an, die den Lesern die Reise durch die Quellen erleichtern. Das Team besteht aus acht Forscher*innen. Nada Boškovska (Presse- und Nationalerzählungen), Zdravko Stojkoski (historischer Kontext), Ivana Hadžievska (Aspekte der Frauengeschichte in der recherchierten Presse), Manja Veličkovska und Frosina Kruškarovska (literarische Aspekte), Marina Mijakovska (Verfasser der Bibliographie), Jana Kocevska (Verfasser des Verzeichnisses weiblicher Namen) und Biljana Kotevska (Handbuch mit Empfehlungen für institutionenübergreifende Maßnahmen) sind Teil des Teams, das an der Veröffentlichung gearbeitet hat. Herausgeberinnen der Publikation sind Ivana Hadžievska und Jana Kocevska.

Lesen Sie die folgenden sehr interessanten Auszüge aus dem Vorwort der fachkundigen und an der Publikation mitgewirkten Historikerin, Prof. Nada Boškovska am Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Zürich:

„Vor Ihnen liegt die Arbeit einer kleinen Gruppe junger Wissenschaftler, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Unsichtbare in der Geschichte sichtbar zu machen. Es gibt viele Gruppen, die unsichtbar bleiben oder nur mühsam beleuchtet werden: Sie wurden in der jeweiligen Gesellschaft marginalisiert, haben kaum selbst geschrieben und werden zudem oft von den jeweiligen Diskursgestaltern und auch von der Geschichtsschreibung übergangen. Dies können zum Beispiel soziale Randgruppen oder diskriminierte Minderheiten sein. Die Unsichtbaren gehören in unserem Fall allen Gesellschaftsschichten an und sind keineswegs eine Minderheit: Das Buch widmet sich den makedonischen Frauen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.“

„Auch wenn hier auf Forschungsergebnisse verwiesen wird, ist die Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte insgesamt noch zu wenig in der makedonischen Geschichtsschreibung vertreten. Das hat zum einen damit zu tun, dass bisher andere Fragestellungen die historische Forschung dominierten, insbesondere das Bedürfnis nach nationaler Affirmation. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war geprägt von großen Bemühungen in Bulgarien, Griechenland und dem Königreich Jugoslawien, alle Anzeichen eines makedonischen Nationalbewusstseins zu unterdrücken. Nur in der Sozialistischen Republik Makedonien, und nur dort, konnten sich Institutionen entwickeln, die überall dem Nation-Building dienen: Bildungseinrichtungen, kulturelle Einrichtungen wie Museen und Theater und nicht zuletzt eine Geschichtswissenschaft, die Geschichte aus nationaler Perspektive erzählt. Und dafür stehen andere Themen im Vordergrund, nicht die Stellung der Frau oder Geschlechterfragen im Allgemeinen. Im Gegenteil, es gibt einen sehr starken Fokus auf den nationalen Kampf und männliche Helden. Die Probleme mit Nachbarstaaten, die Makedonien seit seiner Unabhängigkeit hat, haben diese Rolle der Geschichtsschreibung weiter akzentuiert; Auch hier müssen viele Ressourcen für die Bestätigung der makedonischen Nation aufgewendet werden, damit andere Themen nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Die neue Gedenkortlandschaft in Skopje, in der Frauen praktisch abwesend sind, verdeutlicht dies sehr gut.“

„Umso erfreulicher ist die Initiative des Forscherteams, das sich unter der Leitung von Ivana Hadјievska und Jana Kocevska der Aufgabe verschrieben hat, die Frauen der Zwischenkriegszeit sichtbar zu machen, sie zu suchen und, wenn möglich, ihnen einen Namen und eine Biographie zu verschreiben. Das Team beschloss, zu diesem Zweck mit zeitgenössischen Zeitschriften zu arbeiten. Drei Zeitschriften wurden zu diesem Zweck akribisch studiert und detailliert bibliografisch erfasst: Die 1937/38 in Skopje ansässige „Luč. Mesečni časopis za kulturna, ekonomska i socijalna pitanja“, die jugoslawische Studentenzeitschrift „Smena“ und die in Sofia ansässige „Illustration Ilinden“ (Илюстрация Илиндень). Zeitschriften sind wichtige Quellen, insbesondere solche, die eine gewisse Auflage hatten und damit die öffentliche Meinung beeinflussen und prägen konnten. Im vorliegenden Fall muss jedoch berücksichtigt werden, dass einerseits die Bevölkerung weitgehend analphabetisch war und andererseits die Autoren und Herausgeber keineswegs freischreiben durften.“

„An dieser Stelle muss betont werden, dass der Fokus der vorliegenden Studie ausschließlich auf die ethnisch-makedonischen Frauen liegt. Die Region Makedonien hatte und hat eine sprichwörtliche ethnische Vielfalt und es ist unbedingt wünschenswert, auch die Frauen der anderen Ethnien sichtbar zu machen. Die Höhe der Finanzierung und die relativ kurze Dauer des Projekts erlaubten es jedoch nicht, den Umfang zu erweitern und zusätzliche Forscher einzubeziehen, um mehr Gruppen berücksichtigen zu können.“

„Das diesem Buch zugrunde liegende Projekt gehört zu einer Reihe ähnlicher Projekte in der Region, die sich mit Frauengeschichte befassen. Ziel ist es, seine Ergebnisse nicht nur der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sondern einer breiteren interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln. Leider mussten wegen der Pandemie erforderlich Abstriche am ursprünglichen Konzept gemacht werden. Da die Arbeit in Archiven und Bibliotheken erschwert oder sogar unmöglich gemacht wurde, liegt der Fokus nun auf jene Bestandteilen, die in digitalisierter Form zugänglich waren. Es ist daher unbedingt wünschenswert, dass die in Vardar-Makedonien in den Jahren 1918-1941 erschienenen Zeitungen und Zeitschriften wesentlich intensiver erforscht und auch digitalisiert werden, um sie der Forschung zugänglich zu machen. Dies gilt insbesondere für die wenigen, die schon seit Langem existierten.“

Link zur Publikation in Englisch:

https://nevidliviarhivi.mk/wp-content/uploads/2022/01/Arhivi-na-nevidlivite-ANG-ZA-WEB.pdf

„Archive der Unsichtbaren 2.0: Makedonka – Organ der AFŽ (1944-1952), historische Erfahrungen und kulturelles Gedächtnis „

2022 realisierte das Zentrum für Nationalismus- und Kulturforschung CINIK das Projekt Archive der Unsichtbaren 2.0, das sich der Recherche der ersten makedonischen Frauenzeitschrift „Makedonka* – Organ der AFŽ**“ (1944-1952) widmete. Die Forschung resultierte in der Veröffentlichung einer Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten „Archive des Unsichtbaren: Makedonka– Organ der AFŽ (1944-1952), historische Erfahrungen und kulturelles Gedächtnis“.

* Makedonische Frau/Makedonin,

** Antifaschistische Front der Frauen (Антифашистичкиот Фронт на Жените)

„Das Projekt „Archiv des Unsichtbaren“, das der Zeitschrift „Makedonka“ gewidmet ist, ist von außerordentlicher Bedeutung. Die Aktivitäten dieses Projekts sind in die neuesten wissenschaftlichen Forschungen zu den Zeitschriften des jugoslawischen Raums eingebunden, und daher ist es von entscheidender Bedeutung, nicht „nur“ seine aktuelle Phase zu realisieren, sondern das Projekt vor allem im Prozess der Digitalisierung der Quellen fortzusetzen. Damit würde neben der anfänglichen interdisziplinären Interpretation der Zeitschrift, die diese Sammlung bietet, auch eine Darstellung der Zeitschrift selbst angeboten. Besonders wichtig ist es, nicht nur auf den Vorteil, sondern auch auf die Notwendigkeit der Digitalisierung hinzuweisen (…) „Makedonka“ ist ein Denkmal für NOB*, Antifaschismus, Feminismus, Frauenkultur und Frühsozialismus. Daher gehen seine Lektüre und seine Verfügbarkeit über den lokalen, makedonischen Kontext hinaus und betreffen den gesamten jugoslawischen Raum. Seine Digitalisierung würde weitere vergleichende interdisziplinäre und transdisziplinäre Forschung ermöglichen und die Jugoslawistik sowie periodische Studien bereichern.“ – Dr. Jelena Milinković, Institut für Literatur und Kunst, Belgrad

* Volksbefreiungsarmee (Народноослободителната Војска)

Link zur Publikation (in Makedonisch):

https://nevidliviarhivi.mk/wp-content/uploads/2022/11/Arhivi-na-nevidlivite-II-del-ZA-WEB-1.pdf

Das Zentrum für Nationalismus- und Kulturforschung (Center for Research of Nationalism and Culture, CINIK) wurde gegründet, um in einer Gesellschaft, in der es diesem Bereich an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit und institutioneller Unterstützung mangelt, zusätzlichen intellektuellen Raum und Fachwissen auf dem Gebiet der Nationalismusforschung bereitzustellen. Das Hauptziel des Zentrums ist es, die Entwicklung des Nationalismus in der Balkanregion, seine komplexen Beziehungen zur Kultur im Allgemeinen und seine Auswirkungen auf die Balkangesellschaften zu verstehen, zu erklären und das Bewusstsein dafür zu schärfen.

Der Nationalismus wird als kulturelles Konstrukt gesehen, ein eng mit der Kultur verbundenes Phänomen. Gerade dieser kulturelle Aspekt des Nationalismus liegt im größten Interesse des Zentrums:

„Wir neigen dazu, uns auf die Manifestation des Nationalismus „vor Ort“, an der Basis der Gesellschaft, zu konzentrieren. Wir sind auch daran interessiert zu untersuchen, wie kulturelle Praktiken mit bestimmten staatlichen Richtlinien zusammenhängen, die auf individuelle und Gruppenidentitäten abzielen, und wie Staaten ihre Beziehungen unter Berufung auf interne kulturelle Richtlinien kontrollieren. Wir bestätigen, dass Konflikte, die auf dem eigenen „Anderssein“ beruhen, sehr oft durch eine bestimmte Sicht auf die Geschichte entstehen, die manchmal irreführend sein und sogar von den Machtstrukturen manipuliert werden kann. Durch die Kombination von Politikwissenschaft, Anthropologie, Geschichte und Soziologie zielen wir darauf ab, die Kultur des Nationalismus in der Region zu verstehen und unsere Erkenntnisse öffentlich zu präsentieren, mit dem Endziel, das Bewusstsein für die Grundursache von Phänomenen wie Stereotypen, Vorurteilen, Hass und Diskriminierung zu schärfen. Wir hoffen, damit zum Aufbau einer toleranteren und friedlicheren balkanischen und europäischen Gesellschaft beizutragen.“

Die Tätigkeit des Zentrums fließt in zwei allgemeine Richtungen: akademische Forschung und Förderung von Werten. Das Zentrum bezieht junge, aufgeschlossene Forscher und Aktivisten aus den Geistes- und Sozialwissenschaften ein, die forschen, Publikationen erstellen, öffentliche Vorträge halten, für Bücher werben, Workshops, öffentliche Kampagnen und andere öffentliche Veranstaltungen organisieren. Beiden Hauptaktivitäten werden den gleichen Wert beigemessen. Deren Endziel ist es, zur Schaffung demokratischerer, toleranter und aufgeschlossener Gesellschaften in der Balkanregion beizutragen.