Der Vorsitzende Robert Klenkoski und der stellvertretende Vorsitzende Goran Nikoloski trafen den Historiker und Slawisten Prof. Dr. Stefan Troebst.
Zu Beginn des Gesprächs erläutert Prof. Troebst seine Verbindung zu Makedonien, die sich eher zufällig ergeben hat:
„Als westdeutscher Austauschstipendiat an der Kliment-Ohridski-Universität in Sofija 1976, zu einer Zeit, als das bulgarische Regime die makedonische Karte auf einmal wieder ganz stark gespielt hat und sogleich bulgarische Historiker die ersten soliden Quellen gesättigten Publikationen zu dem Thema vorgelegt haben, war ich dadurch mehr oder weniger automatisch auf das Thema gekommen und hatte die Idee gefasst, nach diesem Jahr in Sofia ein weiteres Studienjahr am Institut für Nationalgeschichte in Skopje zu verbringen. Das hat meinen weiteren wissenschaftlichen Werdegang dahingehend bestimmt, dass die Themen der Qualifikationsarbeiten, Magisterarbeit und Dissertation, im weiteren Sinne mit der Zeitgeschichte Makedoniens, den bulgarisch-makedonischen Beziehungen und den internationalen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit zu tun hatten. Nach dieser Phase in meinem wissenschaftlichen Werdegang habe ich mich dann mit anderen Dingen beschäftigt. Bis dann plötzlich der jugoslawische Bundesstaat zerfiel und ein selbstständiges Makedonien entstand. Damals hat mich das Auswärtige Amt gebeten, in die Langzeit-Mission der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die damals in Skopje eingerichtet wurde, die erste dieser Art Langzeit-Kommissionen der KSZE, dorthin als deutscher Vertreter zu gehen, und naheliegender Weise konnte ich das nicht ablehnen. Ich war bis zur Aufnahme Makedoniens in die Vereinte Nationen 1993 in dieser Mission tätig, was auch zu häufigen Besuchen bei Kollegen im Institut in Skopje, in Bitola und im anderen Teilen des Landes geführt hat.“
Angesprochen wurde das Berliner Seminar über Makedonien von 1995, an dem Prof. Troebst als Vortragender teilnahm. Dieses fand im Rahmen der deutsch-makedonischen Gesellschaft statt, ein Verein, der damals auf die Initiative des ehemaligen Botschafters Srgjan Kerim gegründet worden war: „Es gab wechselnde deutsche Co-Vorsitzende wie den SPD-Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Walther Kolbow, der auch in der Flüchtlingskrise 1999 direkt in Makedonien tätig war. Beteiligt an den Aktivitäten des Vereins war auch der Journalist Matthias Dornfeldt. Die Vorstandssitzungen dieses Vereins wurden in der makedonischen Botschaft abgehalten, doch so richtig funktioniert hat dieser Verein, ehrlich gesagt, nicht.“
Prof. Troebst erinnert sich noch an das am Ku-Damm gelegene makedonische Restaurant „Novo Skopje“: „Damals war kein Verein notwendig, um sich zu treffen; man traf sich dort gleichsam unorganisiert. Manchmal, wenn hoher Besuch aus Skopje kam, wurde man informiert und eingeladen. Und was für die Makedonen in Deutschland interessant ist, ist die Bedeutung des „Novo Skopje“ in politischer Hinsicht, gerade bezüglich Dragan Bogdanovskis „Bewegung zur Befreiung und Einigung Makedoniens“ (DOOM), die damals jugoslawischerseits als staatsfeindlich und anti-titoistisch galt. Aber aus heutiger Sicht der Republik Makedonien war Dragan Bogdanovski einer der Gründerväter des modernen Makedoniens. Und das alles spielte sich im Westen des Berlins des Kalten Krieges ab. Übrigens einschließlich von Kontakten zu Makedonen im Ostteil der Stadt, damals großspurig als ‚Hauptstadt der DDR‘ bezeichnet, wo der langjährige Handelsattaché Jugoslawiens aus Kruševo, Šuli Vangeli, ein sehr vernünftiger Mensch, informelle Kontakte nach West-Berlin hatte. Ob auch zum Restaurant-Besitzer und DOOM-Aktivisten Mane Jakovleski, weiß aber Troebst nicht, was er aber auch nicht völlig ausschließt: „Es gab auf beiden Seiten, sozusagen auf der Ebene der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawiens sowie der DDR und Jugoslawien wissenschaftliche, kulturelle und andere Kontakte, in die die damalige sozialistische Republik Makedonien mehr oder weniger eng einbezogen war. Zum Beispiel an der Universität Halle in der DDR gab es ein Lektorat für makedonische Sprache, Kultur und Literatur -, zum großen Ärger der bulgarischen Botschaft in Ost-Berlin, die ständig versucht hat auf die DDR Einfluss zu nehmen damit dieses Lektorat endlich geschlossen wird, aber es wurde nicht geschlossen. Und ähnliche Verbindungen gab es zwischen Skopje und der alten Bundesrepublik, d. h. Makedonisch-Lektorate an westdeutschen Universitäten.
Auf die Frage vom Vorsitzenden Klenkoski hin, wie seine Meinung zur aktuellen politischen Lage um Makedonien, insbesondere zu den Verhandlungen mit Bulgarien aussehe, antwortet Prof. Troebst:
„Ich bin nicht sonderlich optimistisch. Die Regierung Petkow würde sofort hinweggefegt, wenn sie einen veritablen Kompromiss einginge. Meiner Einschätzung nach wird es sich noch eine lange Weile hinziehen. Es kommt jetzt darauf an, wie andere zentrale EU-Staaten sich verhalten. Für manche von ihnen ist das sicherlich eine ideale Situation, d.h. man muss nicht selber sagen, wir wollen keine weiteren Erweiterungsschritte, sondern man kann sagen, wir wollen es ja eigentlich, aber die Bulgaren wollen es nicht und deswegen kann man nichts machen“. Insofern ist Prof. Troebst in dieser Hinsicht eher pessimistisch. Ob positive Veränderungen im Verhältnis zwischen Sofia und Skopje folgen werden, bleibt abzuwarten.
Auf unsere Frage zur bulgarischen Haltung hin, es gäbe keine makedonische Sprache, und bezüglich der bulgarischen Vereinnahmung der Slawenapostel, wie das die heutige Wissenschaft sehe:
„Die Wissenschaft betrifft das nicht direkt. Es gibt natürlich Forscher, die für die eine oder andere Seite Partei ergreifen. Der eigentliche Bruch in der Argumentation bezieht sich aber auf das Völkerrecht, weil im Völkerrecht solche Kategorien wie Sprache, nationale Identität, Geschichte u. a. überhaupt nicht existieren. Das sind keine völkerrechtlichen Tatbestände. Diesen Bruch hat erstmals Griechenland mit Blick vollzogen. des Namens und der Flagge, das hat die Staatengemeinschaft durchgehen lassen. Da hätte man gleich zu diesem Zeitpunkt sagen müssen: Stopp! Das spielt überhaupt keine Rolle! Die Republik Makedonien hieß Republik Makedonien und nicht Hellenische Republik, dann hätte Griechenland natürlich sagen können, Moment mal, jetzt nehmen sie unseren Namen weg. Aber es gab ja gar keine neue Republik Makedonien vorher. Dasselbe betrifft die Nationalflagge, die Sonne von Vergina (Kutleš) war ja nicht die der Hellenischen Republik, sondern die Flagge Makedoniens, also wo ist das Problem? Das eigentliche Enttäuschende ist, dass man aus Sofioter Sicht gesagt hat,: Die Griechen sind mit ihrer Erpressung durchgekommen, vielleicht sollten wir das auch versuchen! Und siehe da, es funktionierte wieder“. Darin sieht Prof. Troebst das eigentliche Problem, neben einer anderen Reihe an Problemen. Er vermutet, „dass jede bulgarische Regierung, die von diesem Forderungskatalog, 8 bis 10 Forderungen an der Zahl, mehrere zurücknimmt, das politisch nicht überleben wird, weil es in Sachen Makedonien einen Grundkonsens in der bulgarischen Gesellschaft gibt. Der jetzige Regierungschef, der in Harvard studiert hat, hört natürlich auch auf Meinungsumfragen, und seine Berater sagen ihm, wenn du das machst, dann kannst du am selben Tag dein Rücktrittsgesuch einreichen. Also, was soll er machen“.
Der stellvertretende Vorsitzende Nikoloski fragt Prof. Troebst zu den Hintergründen dazu, warum der EU-Staat Bulgarien weiterhin die vielen Urteile des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg ignoriert und nach wie vor die Minderheitenrechte der Makedonen verletzt. Seine Antwort ist ganz einfach:
„Wenn eine makedonische Minderheit auf dem Territorium der Republik Bulgarien anerkannt wird, zerstört man damit dieses ganze argumentative Gebäude: es gibt überhaupt keine makedonische Minderheit. Also, entweder es gibt eine oder es gibt keine. Wenn es historisch gesehen keine makedonische Nation gibt, darf es in Bulgarien auch keine makedonische Minderheit geben. Dann kommt auch das zusätzliche Argument: die bösen Kommunisten wie Georgi Dimitrov, die haben das damals im Auftrag Moskaus eingefädelt, um unsere bulgarische Nation zu zerstören“. Ein unbeschreiblicher Schwachsinn, da fehlt mir als Historiker das völlige Verständnis, denn ja, es gab Druck aus Moskau. Das hatte aber mit den Leninschen Prinzipien der Nationalitätenpolitik zu tun, d.h. da wurde die kommunistische Regierung Bulgariens gezwungen, sämtlichen ethnischen Minderheiten, Pomaken, Türken, Armeniern, Juden, Roma u. a., weitreichende Minderheitenrechte einzuräumen einschließlich einem eigenen Schulwesen, eigenen Medien usw., und darunter eben auch den Makedonen. 1958 wurden noch 157.000 Makedonen in Bulgarien gezählt, in der nächsten Volkszählung waren es dann nur noch 10.000, dann sind sie völlig verschwunden, da die Rubrik „Makedonen“ gestrichen wurde. Was dem heutigen politischen Verständnis widerspricht ist, wenn der Staat einer Gruppe von Bürgern, die einen Verein gründen und sagen ‚wir sind Makedonen‘, sagt: damit macht ihr euch strafbar. Ein solches Vorgehen lässt sich mit EU-Recht nicht vereinbaren. Abgesehen davon geht es den Staat gar nicht an, was seine Bürger denken. Ein Staat entscheidet nicht, wer Minderheit ist und wer nicht“, betont Prof. Troebst.
Vorsitzender Klenkoski möchte von Prof. Troebst wissen, wie die Republik Makedonien sich weiter verhalten soll, um aus der momentanen politischen Sackgasse herauszukommen, in der sie sich wegen den Verhandlungen mit Bulgarien befindet. Der Historiker Troebst sieht dann eine Möglichkeit, wenn Petkow auf anderen bilateralen Gebieten Pluspunkte erzielt und das Klima verändert. Er erklärt das anhand eines Beispiels:
„Für den Grenzübergang zwischen Sandanski, vormals Sveti Vrač und Berovo wurde 1992 eine neue Asphalt-Straße über den Klepalo-Pass von makedonischer Seite her fertiggestellt, auch ein modernes Abfertigungsgebäude wurde errichtet, in dem, wie mit Bulgarien damals abgesprochen, auch der bulgarische Zoll eingerichtet werden soll. Aber auf bulgarischer Seite wurde letzten Endes keine Straße gebaut. Grund dafür war natürlich OMO Ilinden, weil deren Schwerpunkt in der Stadt Sandanski lag, die wiederum dem Grenzübergang am nächsten liegt. Von bulgarischer Seite hat man gesagt, wir öffnen diesen Grenzübergang nicht, weil sonst die „nicht existenten“ Makedonen in Bulgarien ständig nach Makedonien rüberfahren und wer weiß, was sie dort alles machen. Das war 1992, und jetzt haben wir 2022. Erst jetzt, 30 Jahre später!, hat Petkow den Grenzübergang geöffnet.“
Auch ein weiterer Ansatz wäre die in der Vergangenheit angefangene Eisenbahnstrecke zwischen Skopje und Sofia zu vollenden:
„In den letzten 30 Jahren hatte sich da ja nichts getan und es gibt keine andere Bahnverbindung. Man hat gesehen, dass während der griechischen Blockade in den 1990er Jahre die einzige Raffinerie in der Republik Makedonien in griechischem Besitz war, die aber nicht mehr mit Rohöl aus Saloniki beliefert werden konnte wegen des Embargos. Damals musste Rohöl von den bulgarischen Schwarzmeer-Häfen per Zug nach Skopje gebracht werden. Aber es gab, wie gesagt, keine direkte Bahnlinie, also musste der Umweg per Schiene durch Serbien genommen werden, was natürlich Serbien die Möglichkeit gab zu sagen, wenn ihr nicht tut, was wir wollen, dann gibt es überhaupt kein Rohöl mehr. Schon aus diesem Grund hätte man vermuten können, dass eine Priorität sämtlicher makedonischer Regierungen seit Mitte der 1990er Jahre gewesen wäre, die Eisenbahninfrastruktur des Balkans dramatisch zu verbessern – aber es ist nicht geschehen. Das Einzige was man gemacht hat war, dass Kiro Gligorov damals, in ziemlich brutaler Art seinen jungen Ministern befohlen hat so viele Grenzübergänge wie möglich zu öffnen. Was dann natürlich auch immer auf beiderseitiger Bereitschaft beruhte. Zu Albanien gab es ursprünglich nur einen Grenzübergang bei Kjafasan und es wurden 3-4 zusätzlich eröffnet, Griechenland hingegen reichten die drei vorhanden Straßengrenzübergänge plus der eine Eisenbahngrenzübergang bei Gevgelija völlig. Die Bahnverbindung von Bitola nach Florina (Lerin) wurde griechischerseits eingestellt. Und die Ergänzung der drei Straßengrenzübergänge zu Bulgarien um den neuen zwischen Berovo und Sandanski wurde, wie gesagt, bulgarischerseits 30 Jahre lang verschleppt“, erklärt uns Prof. Troebst.
Auf die Frage hin, ob die Bezeichnung „bulgarische faschistische Besatzer“ in den makedonischen Geschichtsbüchern verschwinden soll, um eine angebliche Annäherung Makedoniens mit Bulgarien zu erzielen, antwortet Prof. Troebst:
„Man muss zwischen zwei Dingen unterscheiden: Zwischen dem politischen Hintergrund und dem Geschichtsbild. Der Zweite Weltkrieg ist für das heutige Bulgarien ein ganz großes Problem. Dies deshalb, weil das damalige monarchistische Bulgarien als Verbündeter des Deutschen Reiches große Teile seiner Nachbarstaaten nicht nur besetzt hat, im Fall von Makedonien auch annektiert hat – unter dem Schatten des Hakenkreuzes sozusagen. Das Adjektiv „faschistisch“ würde ich in der Tat weglassen, denn es ist historisch irreführend und zugleich ein rotes Tuch. Wesentlich treffender wäre „antisemitisch“ oder „judenfeindlich“, was ja dann direkt auch auf die annektierten Teile Makedoniens betrifft. Da war ja das bulgarische Argument: wir haben unsere eigenen Juden gerettet, wir hätten auch gerne die aus Bitola und Štip gerettet, aber die hatten ja keine bulgarische Staatsangehörigkeit – anders als die übrigen Bewohner des Besatzungsgebietes, die ja die bulgarische Staatsangehörigkeit bekommen haben: Orthodoxe, Katholiken, Muslime. Juden hingegen haben sie nicht bekommen. Das war natürlich eine gezielte Maßnahme der Regierung in Sofia. Dann zu sagen: wir hätten sie gerne gerettet, aber sie haben ja keine Staatsangehörigkeit, ist natürlich scheinheilig. Das alles ist mittlerweile relativ gut erforscht, dokumentiert, oft durch Filmaufnahmen und Fotografien. Diese zeigen, dass der Holocaust in Vardar-Makedonien auf Druck Berlins durchgeführt wurde, unter tatkräftiger Unterstützung von Wehrmachtseinheiten und SS, die im Vardar-Tal stationiert waren. Aber die praktische Durchführung oblag Beamten des Königreichs Bulgarien, also Polizisten, Eisenbahner, Kommunalbeamten usw. D.h. da kann sich das heutige Bulgarien aus der Verantwortung nicht herauswinden. In der Formulierung: man darf die Besatzung der Jahre 1941 bis 1944 nicht als faschistische Okkupation bezeichnen, schwingt diese Flucht aus der eigenen historischen Verantwortung natürlich mit. Ich glaube, das ist für viele Bulgaren, selbst für die, den die Makedonische Frage egal ist, ein neuralgischer Punkt. Der frühere bulgarische Botschafter in Berlin, Radi Najdenow, ein sehr kluger Mensch, hat 2013 hier eine öffentliche Veranstaltung zu diesem Thema gemacht, und da waren die „Berliner“ Exil-Bulgaren – sowohl die Polit-Immigranten aus dem Kalten Krieg als auch bulgarische Studenten, die nach der Wende an der Humboldt Uni und an der Freien Universität studiert haben, anwesend. Da wurde in dem Auditorium richtig geschrien und gekreischt, wenn einer der Podiumsteilnehmer, eine Ansicht geäußert hat, die dem Topos von der „Rettung der Juden Bulgariens“ widersprach und auf den Holocaust in Vardar-Makedonien verwies. Übrigens, das Groteske ist, in der DDR wurde 1959 ein Spielfilm gedreht, der dieses Thema zum Gegenstand hat, zwar nicht die Deportation der makedonischen Juden, sondern diejenige der Juden aus Nord-Griechenland durch bulgarische Armee und Staatsbahnen. Der Film des DEFA-Regisseurs Konrald Wolf hieß „Sterne“ (Zvezdi) und wurde in Bulgarien und in der DDR gezeigt. Kein Mensch hat sich damals darüber aufgeregt. Die einzige Kritik in der DDR war, dass in dem Film Klezmer-Musik verwendet wurde, aber die griechischen Juden spielen keine Klezmer-Musik, sondern ein andere. Wenn man diesen Film heute in Bulgarien zeigt, würde, glaube ich, das Kino brennen.“ Prof. Troebst beschreibt die bulgarische Situation als eine Art stiller Vulkan, d.h. von außen sieht es relativ ruhig aus, aber unter der Oberfläche brodelt es: „Natürlich gibt es auch auf makedonischer Seite Tabu-Themen, z. B., dass die makedonische politische Elite im Titoschen Jugoslawien in wesentlich höherem Maße mit dem Regime in Belgrad verflochten war als das etwa in Slowenien oder Kroatien der Fall war. Das hört man heute auch nicht mehr so gerne“.
Prof. Troebst erzählt uns von seiner Zeit als westdeutscher Austauschstudent an der Historischen Fakultät der Kliment-Ohridski-Universität Sofia. Zu dieser Zeit wurde er von der kommunistischen Staatssicherheit (DS) Bulgariens „auf der Linie des makedonischen Nationalismus“ bespitzelt. Bis 1986 lautete die Vorgangsbezeichnung der angelegten Akte „Makedonec“ (Makedone), wohl weil Troebst als Student der Geschichte und später als Historiker zu den makedonischen Organisationen in Bulgarien geforscht hatte. Die Überwachungsmaßnahme wurde im DS-Jargon mit „antibulgarischer Tätigkeit und antibulgarischen wissenschaftlichen und anderen Publikationen“ begründet und 1985 verschärft – wegen angeblicher „Spionage“
„Ich kann mich noch erinnern, dass im Kalten Krieg, zu einer Zeit als die Volksrepublik Bulgarien und die Bundesrepublik Deutschland gerade diplomatische Beziehungen aufgenommen und ein Kulturabkommen geschlossen haben, man als Student in Bulgarien als „unser ehemaliger Waffenbruder“ begrüßt wurde, weil man ja im Ersten und im Zweiten Weltkrieg zusammen gekämpft habe. Was natürlich für meine Kommilitonen aus der DDR, die in Sofia studierten, ein ziemliches Problem war.“
Einen weiteren interessanten Aspekt spricht Prof. Troebst an, der die Imagination der Deutschen von Makedonien betrifft:
“Ich würde sagen, dass 80 % aller Deutschen, die älter als 40 Jahre alt sind, Karl May kennen und auch seine drei Balkan-Romane – „In den Schluchten des Balkan“, „Durch das Land der Skipetaren“ und „Der Schut“ – gelesen haben, aber nicht wissen, dass alle drei ausschließlich auf dem Territorium der heutigen Republik Makedonien spielen. Das hat natürlich damit zu tun, dass Karl May die damaligen osmanischen Ortsnamen verwendet hat -also nicht Tetovo, sondern Kalkandelen, nicht Strumica, sondern Ostromdscha, Üsküb statt Skopje usw.“
Abschließend betont Prof. Troebst, dass es nie langweilig wird mit der makedonischen Thematik:
„Als der Namensstreit mit Griechenland in vollem Gange war, musste man beim Halten eines Vortrags über ein makedonisches Thema damit rechnen, dass bei jeder Nennung des Adjektivs „makedonisch“ von der (pro-)griechischen „Sprachpolizei“ aus dem Publikum geschrien wurde: „slawo-makedonisch!!!“. Das ist jetzt nicht mehr so, doch bin ich gespannt, was künftig aus dem Publikum seitens bulgarische Teilnehmer gerufen wird – „nordmakedonisch!!!“ statt „makedonisch“? Für mich als Historiker ist das irgendwie grotesk, denn ich dachte immer, der Fall der beiden deutschen Staaten sei extrem gewesen, da die sich ja auch ihre Benennungen gegenseitig abgesprochen haben. Die Bundesrepublik hat offiziell so gut wie nie die Bezeichnung „Deutsche Demokratische Republik“, sondern „Sowjetzone“, „Ostzone“ bzw. nur „Zone“, „SBZ“, „Mitteldeutschland“, ironisch auch „Transalbingistan“ (für „Land jenseits der Elbe“) verwendet, wie auch die DDR immer auf die Fiktion bestanden hat, dass die alte Bundesrepublik und West-Berlin – im DDR-Jargon „BRD“ und die „selbständige politische Einheit Westberlin“ – zwei unterschiedliche Staaten sind. Drittstaaten, die nicht so genau informiert waren über die deutsche Teilung, konnten das häufig nicht so richtig unterscheiden.“
Wir danken Prof. Troebst für das Gespräch
Zur Person
Studium der Geschichte, Slawistik, Balkanologie, Politische Wissenschaft und Islamwissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie an den Universitäten in Tübingen, Sofia (Bulgarien), Skopje (Jugoslawien, heute Makedonien) und an der Indiana University in Bloomington (U.S.A.); Promotion zum Thema »Mussolini, Makedonien und die Mächte 1922-1930. Die ›Innere Makedonische Revolutionäre Organisation‹ in der Südosteuropapolitik des faschistischen Italien«; Wiss. Mitarbeiter sowie Hochschulassistent für Osteuropäische Zeitgeschichte am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin; Habilitationsstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1992-1995 im Auftrag des Auswärtigen Amtes deutsches Mitglied in den Langzeitmissionen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, heute OSZE) in der Republik Makedonien und der Republik Moldova.
Habilitation mit dem Thema »Handelskontrolle – ›Derivation‹ – Eindämmung. Schwedische Moskaupolitik 1617-1661« (im Druck Wiesbaden 1997); nach einer Lehrstuhlvertretung für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr Hamburg von 1996 bis 1998 Gründungsdirektor des dänisch-deutschen European Centre on Minority Issues (ECMI) in Flensburg und seit 1999 Professor für Kulturgeschichte des östlichen Europa an der Universität Leipzig sowie Leiter des dortigen Masterstudiengangs »European Studies« am Global and European Studies Institute (GESI). 1999-2021 überdies stellvertretender Direktor des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), ebenfalls in Leipzig.
Buchpublikationen auf Makedonisch:
Trebst, Štefan: Musolini, Makedonija i Golemite sili 1922-1930. Vnatrešnata makedonska revolucionerna organizacija vo jugoiztočnata politika na fašistička Italija. Prevod od germanski jazik Vase Angeleski. Skopje: ARS STUDIO/“Branko Gapo“, 2020, 643 S. ISBN 978-608-239-447-3
Trebst, Štefan: Makedonskiot vek. Od početocite na nacionalno-revolucionernoto dviženje do Ohridskiot ramkoven dogovor 1893-2001. Izbrani esei. Prevod od germanski jazik Simona Arsova. Skopje: ARS STUDIO, 2018, 461 S. ISBN 978-608-239-214-1
Trebst, Stefan: Bugarsko-jugoslovenskata kontroverza za Makedonija 1967-1982. Prevod od germanski jazik Slobodanka Popovska. Redakcija Ivan Katardžiev, Novica Veljanovski. Skopje: Institut za nacionalna istorija 1997, 327 S. ISBN 9989-624-26-7