Treffen mit Prof. Dr. Nada Boškovska

Der stellvertretende Vorsitzende Goran Nikoloski traf sich per Videokonferenz mit Frau Prof. Dr. Nada Boškovska, ordentliche Professorin für Osteuropäische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich und Vorsitzende des Fachrats des Center for Eastern European Studies. Unterstützt wurde die virtuelle Begegnung von Frau Simona Lupu, Wissenschaftsreferentin und Beiratsmitglied des Zentralrats. Boškovska’s Schwerpunkt in der Forschung liegt auf der vorpetrinischen Geschichte Russlands, sowie auf dem Balkan des 20. Jahrhunderts. Sie publizierte unter anderem 2009 „Das jugoslawische Makedonien 1918-1941, Eine Randregion zwischen Repression und Integration“. Dieses Buch erschien 2017 in englischer Sprache unter dem Titel „Yugoslavia and Macedonia before Tito. Between repression and integration” (London: I.B. Tauris) und kurz darauf in makedonischer Übersetzung (“Vardarska Makedonija 1918-1941”, Skopje 2019). Nada Boškovska wirkte 2021 mit an der Publikation mit dem Titel Unsichtbare Archive: Frauen in den Zeitschriften aus Vardar-Makedonien zwischen den beiden Weltkriegen, herausgegeben vom Center for Research of Nationalism and Culture (CRNC) in Skopje mit der Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung. Nebst Buchautorin ist sie auch Herausgeberin zahlreicher wissenschaftlicher Schriften und Aufsätzen.

Im Gespräch wurde festgehalten, das der besondere Fall Makedoniens zeigt, wie sehr Geschichte und Vergangenheit immer noch starken Einfluss auf die heutige Politik auf dem Balkan haben:

Die Republik Makedonien war einer der Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Erstmals entstand 1991 ein unabhängiges Makedonien, denn zuvor war dieses Gebiet immer Bestandteil anderer Staatsgebilde gewesen. Wer in Makedonien kurz nach 1900 zur Welt kam, begann sein Leben als Untertan des Osmanischen Reichs, kam von 1913 bis 1915 zum Königreich Serbien, anschließend zu Bulgarien und fand sich Ende 1918 im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen wieder. Im Zweiten Weltkrieg kam er wieder unter bulgarische Herrschaft, um nach 1945 sein Leben im sozialistischen Jugoslawien fortzusetzen. Die Sozialistische Republik Makedonien war der südlichste Teil Jugoslawiens. Als dieses Land 1991 zerfiel, erklärte sie sich unabhängig, womit der erste makedonische Staat entstand Seitdem kämpft das Land außenpolitisch um einen anerkannten Platz auf der internationalen Bühne, innenpolitisch mit interethnischen Spannungen und wirtschaftlichen Problemen.

Die Republik Makedonien ist ein Teil des geografischen Makedonien, über dessen Grenzen unter den Geografen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend Konsens bestand. Diese geografische Region gehörte im Mittelalter abwechslungsweise zu Byzanz, zum Bulgarischen und zum Serbischen Reich – ein Umstand, der im 19. und 20. Jahrhundert von den Nationalstaaten Griechenland, Bulgarien und Serbien ins Feld geführt wurde, um den Anspruch auf Makedonien zu legitimieren.

Sehr viel länger als diese Reiche herrschten jedoch die Osmanen über Makedonien, das sie ab den 1370er Jahren eroberten und erst wieder in den Balkankriegen von 1912/13 verloren. Kein anderes Gebiet in Europa stand länger unter osmanischer Herrschaft. Sie hat dem Gebiet entsprechend stark ihren Stempel aufgedrückt. Ein Teil der Bevölkerung trat zum Islam über. Das wurde nicht durch Zwang erreicht, sondern durch Anreize. Wer Muslim wurde, musste keine Kopfsteuer zahlen und wechselte von der diskriminierten zur privilegierten Bevölkerungsgruppe. Wie in allen Gebieten des Balkans, die unter direkte osmanische Herrschaft kamen, musste die einheimische christliche Bevölkerung den Verlust ihrer Elite erleiden: Diese kam entweder in den Eroberungskriegen um, floh oder konvertierte zum Islam, um ihren sozialen Status zu wahren. Das hatte zur Folge, dass die christliche Bevölkerung hauptsächlich aus slawischsprachigen Bauern bestand, während vor allem Muslime sowie jüdische, griechische und armenische Händler und Handwerker die Städte bevölkerten.

In Ermangelung einer politischen und gebildeten Führungsschicht war es die Kirche, der weit über den religiösen Bereich hinaus eine Führungsrolle zufiel. Das wurde durch das Millet-System befördert: Im Osmanischen Reich wurde den Religionsgemeinschaften der Status eines so genannten Millet zuerkannt, der beinhaltete, dass die Gemeinschaften sehr viele Angelegenheiten, auch juristische, selbst regeln konnten, soweit keine Muslime oder der Staat betroffen waren. Orthodoxe Untertanen des Sultans unterstanden der Jurisdiktion des Patriarchen in Konstantinopel, unabhängig davon, wo im Reich sie lebten und welcher Ethnie sie angehörten.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verlor das Osmanische Reich seine Besitzungen auf dem Balkan sukzessive und es entstanden die kleinen Nationalstaaten Serbien, Griechenland, Montenegro, Bulgarien und Rumänien, während Bosnien und Herzegowina an Österreich-Ungarn fiel. Unter direkter osmanischer Herrschaft verblieben nach 1878 nur noch Albanien, Makedonien und Thrakien. Vor allem auf das strategisch wichtige und vergleichsweise große Makedonien hatten die Nachbarländer ein begehrliches Auge geworfen. Die Ansprüche Griechenlands, Bulgariens und Serbiens überschnitten sich allerdings stark, zumal alle drei Länder darauf verweisen konnten, dass Makedonien im Mittelalter Bestandteil des entsprechenden Reiches gewesen war. Deswegen wurde als weiteres Argument die ethnische Zugehörigkeit der Bevölkerung ins Feld geführt.

Wie es diesbezüglich um 1900 aussah, bezeugen ausländische Diplomaten, Journalisten und Abenteuerreisende, die Makedonien in der Endphase des Osmanischen Reiches besuchten. Sie waren immer wieder von der Vielfalt der „Rassen“ beeindruckt, der sie dort begegneten. Die kulinarischen Begriffe salade macédoine (Gemüsesalat) oder Macedonia di frutta (Fruchtsalat) sind Resultate dieses Eindrucks. Woraus diese Macedonia bestand, insbesondere auch welcher Anteil daran wie groß war, wurde damals leidenschaftlich diskutiert, auf dem Balkan wie anderswo. Wenn man die Auseinandersetzung über die Zahlen außer Acht lässt, so herrschte weitgehend Konsens darüber, dass im osmanischen Makedonien Türken, Albaner, Juden, Walachen, Griechen, Roma und andere kleinere Volksgruppen lebten. Die Differenzen betrafen die größte Bevölkerungsgruppe, die slawischsprachigen Christen, welche je nach Standpunkt als Bulgaren, Serben, Slawen, makedonische Slawen oder Makedonier bezeichnet wurden. Der deutsche Geograf Theobald Fischer hatte einen pragmatischen, aber nicht konsensfähigen Vorschlag: Es sei schwer zu entscheiden, ob die Slawischsprachigen Makedoniens Serben oder Bulgaren seien, deshalb solle man sie „heute am besten als Makedonen“ bezeichnen.

Um die nationale Zugehörigkeit dieser Menschen entbrannte im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ein erbitterter Kampf. Ein nationales Bewusstsein war den meisten von ihnen noch fremd. Für ihre Selbstidentifikation, aber auch für die Zuordnung aus Sicht des osmanischen Staates war in erster Linie maßgeblich, dass sie Christen waren; an zweiter Stelle folgte die Zugehörigkeit zum griechischen Patriarchat oder bulgarischen Exarchat. Davon abhängig wurde der slawischsprachige Christ Makedoniens als „Grieche“ oder „Bulgare“ gesehen und bezeichnete sich in der Regel auch selbst so. Es handelte sich dabei zunächst einmal um eine kirchliche Kategorie im Sinne des Millets, nicht um eine ethnische. In gleicher Weise galten alle Muslime als „Türken“, ob sie nun ethnisch tatsächlich Türken waren oder „Slawen“ bzw. Slawischsprachige, Albaner, Tataren oder Tscherkessen. Die benachbarten Staaten erklärten, um ihre territorialen Ansprüche zu stützen, die slawischsprachigen christlichen Untertanen der Pforte jeweils zu Serben, Griechen oder Bulgaren und versuchten mit einigem propagandistischem Aufwand, die derart vereinnahmte Bevölkerung wie auch die europäische Öffentlichkeit davon zu überzeugen. Freischärlergruppen aus den drei Staaten, die ins osmanische Makedonien einfielen, halfen mit Gewalt nach, die „richtige“ Einstellung zu finden.

Im Ersten Balkankrieg von 1912 vertrieben Montenegro, Serbien, Bulgarien und Griechenland mit vereinten Kräften die Osmanen fast gänzlich von der Balkanhalbinsel. Nach einem weiteren Krieg, nunmehr zwischen den Bündnispartnern um die eroberten Gebiete, wurde im Vertrag von Bukarest am 10. August 1913 die Aufteilung Makedoniens besiegelt. Etwa die Hälfte (das so genannte Ägäisch-Makedonien) fiel an Griechenland, rund 40 Prozent (Vardar-Makedonien) an Serbien und ein kleines Stück (Pirin-Makedonien) ging an Bulgarien; die damaligen Grenzen sind im Wesentlichen die gleichen wie heute. In der Folge hatten die drei Staaten freie Hand, in den ihnen zugefallenen Teilen ihr nationales Programm umzusetzen und zu versuchen, aus der dort ansässigen, südslawischsprachigen Bevölkerung Griechen, Serben oder Bulgaren zu formen. In Griechenland und Bulgarien wird seitdem im Wesentlichen durchgehend eine strikte Assimilierungspolitik verfolgt, die keine ethnisch-makedonische Minderheit anerkennt.

Einen anderen Verlauf nahm die Entwicklung in jenem Teil, der an Serbien fiel und aus dem die Republik Makedonien entstanden ist. Im Folgenden ist nur noch dieses Gebiet gemeint, wenn von Makedonien die Rede ist. Als Teil Serbiens ging Makedonien 1918 in das neu entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen ein, das 1929 in Königreich Jugoslawien umbenannt wurde. Die Politik gegenüber Makedonien wurde von serbischen Politikern bestimmt, welche ein serbisches nationales Programm umzusetzen versuchten. Makedonien, das nunmehr als „Südserbien“ bezeichnet werden musste, wurde mit serbischen Beamten und Lehrern überzogen. Durch einen entsprechenden Unterricht sollte die Jugend eine „korrekte“ nationale Gesinnung entwickeln. Serbische Kolonisten wurden angesiedelt, um das serbische „Element“ zu stärken. Darüber hinaus waren in den 1920er Jahren 35.000 Mann Sicherheitskräfte damit beauftragt, in Makedonien für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Grund dafür waren die Aktivitäten der Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation (IMRO), die von Bulgarien aus aktiv war und durch Einfälle und Anschläge eine Destabilisierung des jugoslawischen Staates und eine neue Lösung für Makedonien erreichen wollte. Schon bei den Pariser Friedensverträgen im Anschluss an den Ersten Weltkrieg hatten sich makedonische Organisationen für eine Autonomie eingesetzt, allerdings vergeblich. Danach waren immer noch verschiedene Szenarien über eine alternative Zukunft in Umlauf. Ein Teil der großen makedonischen Diaspora in Bulgarien war für einen Anschluss an Bulgarien. Andere wünschten ein unabhängiges Makedonien als Protektorat des Völkerbundes oder Englands und Frankreichs.

Was in Makedonien selbst darüber gedacht wurde, ist schwer festzustellen, da sich wegen der Repression niemand offen äußern konnte. Hermann Wendel, ein deutscher Sozialist, der Makedonien 1920 bereiste, berichtet z. B. von einem jungen Mann aus Bitola, der „ein autonomes Makedonien mit Landesregierung und Landesparlament zu Skoplje im Gefüge eines südslawischen Bundesstaates“ forderte. Auch Studenten aus Ohrid, die in Graz und Wien studierten, träumten von einem autonomen Makedonien, wie der Generalstab der Armee wusste. Davon war auch ein serbischer nationalistischer Gymnasiallehrer in Prilep überzeugt, der 1926 dem Innenministerium hinterbrachte, dass die jungen Studenten aus Makedonien in Wien, Graz, Berlin, Paris und Montpellier über ein autonomes Makedonien, über die Theorie der makedonischen Nationalität und über eine eigene makedonische Sprache diskutierten: „In letzter Zeit spürt man sowohl hier als auch in diesen Studentengrüppchen im Ausland eine lebhafte Freude, die aus der Hoffnung kommt, dass eine baldige Möglichkeit für die Abspaltung eines eigenständigen Makedonien besteht und dass das Makedonische Komitee in dieser Frage erfolgreich sein wird.“

Für die serbischen Machthaber kam eine Autonomie nicht in Frage. 1924 erklärte Außenminister Momčilo Ninčić dem britischen Botschafter, dieses Gebiet sei die Wiege des Serbentums. „Südserbien“ war gemäß der Belgrader Ideologie ein zurückgewonnenes Kerngebiet Serbiens, die dortigen Brüder endlich aus türkischer Knechtschaft befreit und mit dem Norden wiedervereint. In der Praxis wurde Makedonien aber wie Feindesland behandelt, der Bevölkerung schlugen Misstrauen und Verachtung entgegen. Politische oder kulturelle Vereinigungen auf regionaler Basis wurden nicht geduldet, es durfte sich nichts formieren, was einen makedonischen Anstrich hatte. Die Folge war, dass sich an den Schaltstellen der Macht niemand für die Interessen Makedoniens einsetzen konnte. Dabei war der Handlungsbedarf enorm. Das Gebiet war in jeder Beziehung unterentwickelt und hatte zudem als Schauplatz der Balkankriege und des Ersten Weltkriegs große Zerstörungen erlitten. Die Analphabetenrate war 1921 mit 84 Prozent die höchste im Land, Verkehrsinfrastruktur und Gesundheitswesen waren nur in Ansätzen vorhanden. Erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurden wirtschaftliche Fördermaßnahmen ernsthaft ins Auge gefasst, meistens aber nicht umgesetzt, denn sobald nicht mehr nur geredet wurde, sondern die staatlichen Mittel konkret zugeteilt wurden, konnten sich Regionen mit größerem politischem Einfluss durchsetzen.

Die fortgesetzt stiefmütterliche Behandlung durch Belgrad und der Assimilierungszwang waren Faktoren, die dazu beitrugen, dass eine makedonische Identität zunehmend an Boden gewann und sich in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, als die Repression nachließ, vermehrt auch äußern konnte. Mittlerweile war eine junge Elite herangewachsen, die, da sie sich dem Serbentum weitgehend verweigerte, am politischen Leben nicht partizipieren konnte und nun zunehmend die alte Idee einer Autonomie für Makedonien aufnahm. Die politischen Umwälzungen in Europa seit 1938 und insbesondere die Revision von Grenzen vor und nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ließen es erstmals seit den Friedenskonferenzen nach 1918 als realistisch erscheinen, dass sich auch in Makedonien etwas am Status quo ändern könnte. Während die einen erwarteten, dass Deutschland und Italien Makedonien von der serbischen Herrschaft befreien würden, setzten die Kommunisten ihre Hoffnungen auf die Sowjetunion. Jugoslawien, das im April 1941 kapitulierte, trauerte kaum jemand nach. Die Hoffnungen auf „Befreiung“ wurden allerdings enttäuscht. Während des Krieges wurde der größte Teil des jugoslawischen Makedonien von Bulgarien besetzt, das umgehend ein Bulgarisierungsprogramm einleitete. Der westliche Teil wurde dem von Italien kontrollierten Großalbanien zugeschlagen.

Unmittelbar nach dem Krieg sah es zunächst so aus, als könnte sich der Wunsch nach Autonomie und Wiedervereinigung der drei makedonischen Teile im Rahmen einer Balkanföderation erfüllen. Mit dem Bruch zwischen Tito und Stalin 1948 wurde dieser ohnehin schwer umzusetzende Plan jedoch vollends Makulatur. Allerdings eröffneten sich für Vardar-Makedonien neue Perspektiven, denn Jugoslawien wurde nach dem Krieg neu als föderalistischer Staat konzipiert, um seinem multiethnischen Charakter Rechnung zu tragen. Makedonien erhielt den Status einer Republik mit allen dazugehörigen Institutionen wie Verfassung, Regierung, Parlament, Gerichtsbarkeit, einem eigenen Bildungswesen, wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen usw. Im November 1944 wurde die Standardisierung der makedonischen Sprache in Angriff genommen und war im Mai 1945 vollendet. Erstmals war es möglich, sich zur makedonischen Nation zu bekennen und die eigene Sprache frei in allen Lebensbereichen zu verwenden. Die Quasistaatlichkeit der Republik ermöglichte eine Förderung des nation-building, inklusive einer eigenen Geschichtsschreibung, die diesem Ziel zuarbeitete. Damit wurde eine Entwicklung zuende geführt, die ihre frühen Vertreter im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hatte, sich in der Zwischenkriegszeit in weitere Kreise verbreitete und nach dem Krieg, auch aufgrund der nun unter sozialistischen Vorzeichen stark geförderten Alphabetisierung, die Massen erreichte. Dabei handelte es sich um einen klassischen Nationswerdungsprozess, wie ihn etwa Miroslav Hroch mittels seines Drei-Phasen-Modells beschrieben hat.

Teil dieses Prozesses war die Abspaltung von der Serbischen Orthodoxen Kirche, der die orthodoxen Gläubigen Vardar-Makedoniens seit 1919 unterstanden. Der Wunsch nach einer eigenen Kirche war schon in der Zwischenkriegszeit vorhanden und wurde während des Zweiten Weltkriegs und danach wieder vorgetragen, stieß aber auf Ablehnung seitens des serbischen Klerus, der zwar Autonomie, aber keine Unabhängigkeit gewährte, obwohl er von den jugoslawischen wie den serbischen Behörden dazu gedrängt wurde. Im Juli 1967 erfolgte die einseitige Erklärung der Autokephalie durch die makedonische Kirche. Dieser Akt wurde eine lange Zeit weder von der serbischen noch von den anderen orthodoxen Kirchen anerkannt, obwohl es in der Geschichte der Orthodoxie immer wieder einseitige Abspaltungen gegeben hat, die jeweils nach einer gewissen Zeit des Grolls akzeptiert wurden. Die Gründe für die Nichtanerkennung waren somit in erster Linie politischer Natur.

Die sozialistische Phase brachte Makedonien in mancher Hinsicht einen großen Entwicklungsschub. Es wurde in Bildung, Gesundheitswesen und Infrastruktur investiert und eine Industrie aufgebaut, wobei die Republik von Ausgleichszahlungen des jugoslawischen Entwicklungsfonds profitieren konnte. Sie blieb allerdings eine der ärmsten Regionen Jugoslawiens und der Abstand zu den reicheren Republiken des Nordens wurde nicht kleiner, sondern größer. Makedonien war zudem wie im ersten Jugoslawien ein politisches Leichtgewicht. In den hohen Rängen von Partei- und Staatsführung sowie in Titos innerem Kreis waren keine Makedonier zu finden. Das Zusammenleben zwischen den Ethnien war zwar friedlich, aber angespannt – es handelte sich um ein Nebeneinander, bei dem sich insbesondere Makedonier und Albaner kaum mischten und gegenseitige Ressentiments pflegten.

Insgesamt sah sich Makedonien angesichts der eigenen Schwäche, der von den Nachbarstaaten negierten Nationsbildung und der multiethnischen Zusammensetzung in Jugoslawien gut aufgehoben und war eine loyale Republik, die zusammen mit Bosnien und Herzegowina bis zuletzt versuchte, den Zerfall des Landes zu verhindern. Als dies nicht möglich war, schlug es mit einem Referendum am 8. September 1991 notgedrungen ebenfalls den Weg in die Unabhängigkeit ein.

Nach Jugo­sla­wiens Zerfall wurde die Unab­hän­gig­keit seiner (Teil-)Repu­bliken Slowe­nien, Kroa­tien und Bosnien-Herzegowina inter­na­tional zügig aner­kannt. Das galt nicht für Make­do­nien, das sich im Herbst von 1991 eben­falls unab­hängig erklärte und nach dem Urteil einer Kommis­sion zur Prüfung der Aner­ken­nungs­wür­dig­keit, bestehend aus den Präsident:innen der Verfas­sungs­ge­richte mehrerer euro­päi­scher Staaten („Badinter-Kommission“), alle Voraus­set­zungen erfüllte – im Gegen­satz etwa zu Kroa­tien, dessen Minder­hei­ten­schutz mangel­haft war.

Die Ausset­zung der Aner­ken­nung durch die Länder der Euro­päi­schen Gemein­schaft (EG) geschah auf Inter­ven­tion Grie­chen­lands, das damit durch­setzen wollte, dass der neue Staat seinen Namen änderte – das Wort „Make­do­nien“ durfte in der Bezeich­nung nicht vorkommen. Die im Dezember 1991 laufenden Verhand­lungen, die zum entschei­denden Ausbau der EG zur Euro­päi­schen Union führten (Vertrag von Maas­tricht vom 7.2.1992), gaben Grie­chen­land ein starkes Druck­mittel an die Hand, um seiner Posi­tion in Bezug auf Make­do­nien Gewicht zu verleihen.

Für die erste Phase war es von entscheidender Bedeutung, dass das Land im Präsidenten Kiro Gligorov einen umsichtigen und sehr erfahrenen, auf inneren und äußeren Ausgleich bedachten „Landesvater“ fand, der von breitesten Kreisen der Bevölkerung als solcher empfunden wurde und auch das Vertrauen der Minderheiten genoss. Nachdem sich die Republik ohne militärische Zwischenfälle aus Jugoslawien hatte lösen können, schien sie auf einem guten Weg zu sein. Sie hatte allerdings von Anfang an mit drei Problemfeldern zu kämpfen, die mehr als dreißig Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch aktuell sind.

Erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten waren aufgrund der ökonomischen Schwäche zu erwarten, die durch die Transformation und die gegen Jugoslawien verhängten Sanktionen an Schärfe gewannen. Auch mit ethnischen Spannungen war angesichts der Zusammensetzung der Bevölkerung und der Situation im Kosovo zu rechnen. Was das Land aber ziemlich unvorbereitet traf, war die massive Feindschaft Griechenlands, das einen Staat namens Makedonien unter allen Umständen verhindern wollte. Ein griechischer Politiker erklärte im Januar 1992 sogar, der Gebrauch des Namens Makedonien sei ein casus belli, also ein Kriegsgrund, und forderte „eine aktive Vernichtungspolitik gegen diesen Zwergstaat“.

Infolge seiner Mitgliedschaft in EU und NATO verfügt Griechenland über erhebliche Druckmittel und sabotierte seit 1991 Makedoniens internationale Beziehungen in jeder erdenklichen Weise. Um nur die wichtigsten Fälle zu nennen:

  • Bis 1993 konnte es die internationale Anerkennung verhindern, wodurch Makedonien von Finanzorganisationen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds keine Finanzhilfe erhalten konnte
  • 2008 verhinderte Griechenland den Beitritt zur NATO, wozu es gemäß eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag vom 5. Dezember 2011 kein Recht hatte. Das Verdikt änderte aber nichts daran und an eine EU-Mitgliedschaft Makedoniens unter diesen Umständen war nicht mehr zu denken.

Bulgarien hat seinerzeit als erster Staat Makedonien anerkannt und damit ein versöhnliches Zeichen gesetzt. Gleichzeitig weigert es sich, eine makedonische Nation und Sprache anzuerkennen; es betrachtet Makedonien faktisch als einen zweiten bulgarischen Staat.

Die wirtschaftlichen Probleme und die ausweglose außenpolitische Lage verschärften von Anfang an die ethnischen Spannungen im Innern. Zwar führte Makedonien in der Tradition des sozialistischen Jugoslawien einen im internationalen Vergleich sehr guten Minderheitenschutz ein und beteiligte die albanische Minderheit stets an der Regierung, jedoch waren die makedonischen Albaner in vielen Bereichen von Staat, Bildung und Kultur untervertreten. Insbesondere forderten sie aber, nicht als Minderheit betrachtet und behandelt zu werden, sondern als zweites Staatsvolk. Seit den Zusammenstößen zwischen einer albanischer Guerilla und makedonischen Sicherheitskräften im Jahr 2001, die unter internationaler Vermittlung mit dem so genannten Rahmenabkommen von Ohrid beendet werden konnten, werden die Forderungen der Albaner allmählich umgesetzt. Der Streit mit Griechenland um den Staatsnamen erschwert auch die Beziehungen zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung. Für die Makedonier ist der Name von existenzieller Bedeutung, weil er untrennbar mit ihrer Nation verknüpft ist. Die anderen Volksgruppen, insbesondere die größte, die Albaner, hängen nicht daran und sind unzufrieden, dass die Regierung in der Vergangenheit keine Konzessionen in dieser Frage machte, was die außenpolitische Lage und damit auch die wirtschaftlichen Chancen des Landes hätte verbessern können.

Griechenlands jahrzehntelange Veto- und Bulgariens Negierungspolitik sowie die Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber diesem kleinen und unbedeutenden Land haben dazu geführt, dass die in die Ecke gedrängten Makedonier ihre Nation ebenfalls in prestigereichen historischen Tiefen zu verorten versuchen.

Gerade wegen der Vertei­lung der Region Makedonien auf mehrere Staaten führte Grie­chen­land ins Feld, der unab­hän­gige Nach­bar­staat könnte, sollte man ihm den Namen belassen, Gebiets­an­sprüche auf den grie­chi­schen Teil Make­do­niens erheben. Dieser Argu­men­ta­tion begeg­nete die Republik Make­do­nien durch die Ände­rung der Flagge und einiger Artikel in der Verfas­sung. Dennoch blieb Grie­chen­land in der Namens­frage hart, was darauf hinweist, dass es nicht um Angst vor diesem neuen „Zwerg­staat“ ging, sondern um andere Probleme. Grie­chen­land war zu Beginn der 1990er Jahre zwei­fels­ohne von den poli­ti­schen und krie­ge­ri­schen Umwälzungen in seiner Nach­bar­schaft über­for­dert und nicht in der Lage, als NATO- und EU-Mitglied eine konstruk­tive Rolle in der Region zu spielen. Das hatte nicht zuletzt mit den großen innen­po­li­ti­schen Konflikten zu tun, mit der Zerris­sen­heit des poli­ti­schen Spek­trums und schweren wirt­schaft­li­chen Problemen. Mit Härte in der Makedonien-Frage konnten Regie­rung wie Oppo­si­tion bei der Bevöl­ke­rung punkten und außen­po­li­ti­sche Erfolge vorweisen.

Während sich mit der Zeit trotz allem enge wirt­schaft­liche Bezie­hungen zwischen den beiden Staaten entwi­ckelten, blieb die Namens­frage unge­löst. Das grie­chi­sche Beharren darauf, dass nur das antike Erbe den Namen Make­do­nien recht­fer­tige, führte dazu, dass sich Teile der politi­schen Elite und der Bevöl­ke­rung Make­do­niens nunmehr auf den Stand­punkt stellten, der gegen­wär­tige Staat sei sehr wohl Erbe des antiken Makedoniens.

In einer Kampagne zur „Hebung der natio­nalen Würde und des Opti­mismus“ rekur­rierte die rechts­natio­nale Regie­rung unter dem Minis­ter­prä­si­denten Nikola Gruevski zuneh­mend auf die Antike. Insbeson­dere seit 2008, als Grie­chen­land die Aufnahme in die NATO verhin­derte, insze­nierte die Regierung diese Bezug­nahme mit unzäh­ligen Denk­mä­lern und „anti­ki­sie­renden“, weit­rei­chenden Eingriffen ins Stadt­bild der Kapi­tale Skopje. In kurzer Zeit erbaute bombas­ti­sche Gebäude, die an antike Tempel erin­nern und zugleich das bauliche Erbe der sozia­lis­ti­schen Zeit verdrängen, haben das Zentrum der Haupt­stadt völlig verändert.

Der nicht nach­las­sende grie­chi­sche Druck trug schließ­lich 2019 Früchte, da für Make­do­nien der Beitritt zur NATO und zur EU ein vorran­giges Ziel war, Ersteres aus sicherheitspolitischen Über­le­gungen, Letz­teres vorrangig aus ökono­mi­schen Erwä­gungen. Seit 2005 ist das Land Beitritts­kan­didat der EU, kam aber wegen des grie­chi­schen Vetos gegen die Aufnahme von Beitritts­ver­hand­lungen nicht vom Fleck. Um aus dieser Sack­gasse heraus­zu­kommen, zeigte sich die neue, von den Sozi­al­de­mo­kraten domi­nierte Regie­rung unter Zoran Zaev kompro­miss­be­reit und peitschte 2019 im Parla­ment den soge­nannten Vertrag von Prespa mit Grie­chen­land durch. Nebst anderen Konzes­sionen änderte Makedonien seinen Staatsnamen; eine Bezeich­nung mit geografischen Zusatz, die zumin­dest bei der ethnisch make­do­ni­schen Bevöl­ke­rung auf keinerlei Akzep­tanz stößt und als aufge­zwungen betrachtet wird. Die griechi­sche Seite konnte sich mit dem Namen abfinden, weil er aus ihrer Sicht in erster Linie eine geogra­fi­sche Bezeich­nung darstellt.

Der Vertrag von Prespa betreibt aber auch Geschichts­po­litik, denn er regelt die Vergan­gen­heit und den Umgang mit ihr verbind­lich: Das antike Make­do­nien wird darin als helle­nisch definiert und der make­do­ni­sche Staat darf sich in keiner Art und Weise darauf berufen oder dessen Symbole verwenden. Er wurde verpflichtet, inner­halb von sechs Monaten alle öffentlichen Hinweise auf „helle­ni­sche Geschichte und Zivi­li­sa­tion“ zu entfernen. Eine paritäti­sche staat­liche Kommis­sion soll außerdem dafür sorgen, dass inner­halb eines Jahres nach Vertragsab­schluss in den Schul­bü­chern der beiden Staaten keine „irredentistischen/revisionistischen Refe­renzen“ vorkommen.

Grie­chen­land legte seit dem Vertrags­ab­schluss kein Veto mehr ein und Make­do­nien konnte 2020 der NATO beitreten – ein für die innere wie äußere Stabi­lität des Landes wich­tiger Schritt. Kurz darauf zeigte sich jedoch, dass der Weg für Beitritts­ver­hand­lungen mit der EU keines­wegs gebahnt war, denn nun machte Bulga­rien von seinem Veto­recht Gebrauch. Das war nicht zu erwarten, hatte doch Bulga­rien seiner­zeit das unab­hän­gige Make­do­nien sofort und unter diesem Namen aner­kannt, aller­dings einzig den Staat, aber explizit nicht die makedo­ni­sche Nation und Sprache. Denn in Bulga­rien wird beides als bulga­risch betrachtet.

Auch Bulga­rien stand seit dem 14. Jahr­hun­dert unter osma­ni­scher Herr­schaft, von der es sich 1878 mit russi­scher Hilfe befreite, während Make­do­nien osma­nisch blieb. Seit dieser Zeit ist die Anglie­de­rung Make­do­niens ein wich­tiges Ziel auf der natio­nalen bulga­ri­schen Agenda. Für dieses groß­bul­ga­ri­sche Projekt zog das Land 1912/13 in zwei Balkan­kriege und stellte sich in beiden Welt­kriegen auf die Seite Deutsch­lands. Zwar konnte es Make­do­nien jeweils besetzen, verlor es aber nach den Kriegen wieder. Da Make­do­nien im Mittel­alter kurz­zeitig zum Bulga­ri­schen Reich gehörte und da die ethni­sche und sprach­liche Nähe der beiden südsla­wi­schen Völker groß ist, wurde und wird auf die Makedonier Anspruch erhoben. Es wird negiert, dass im jugo­sla­wi­schen Teil Make­do­niens (Vardar-Makedonien – das Territo­rium des heutigen Staates) im Verlauf der letzten hundert Jahre eine Nation entstanden ist, die sich als „make­do­nisch“ bezeichnet und seit 1944 über eine kodi­fi­zierte Schrift­sprache verfügt. Die Erkenntnis, dass Nationen moderne Konstrukte sind und es nicht seit dem frühen Mittel­alter eine unver­än­der­liche „bulga­ri­sche Nation“ gibt, hat sich bisher auch in der bulgarischen Geschichts­wis­sen­schaft kaum durchgesetzt.

Die make­do­ni­sche Karte wird in Bulga­rien, wie schon in Grie­chen­land, vor allem in schwierigen Zeiten gespielt, um Risse im Innern zu kitten. Die bulga­ri­sche Gesell­schaft ist zurzeit gespalten, die Wirt­schafts­lage schwierig und die Poli­ti­ker­kaste hoch­kor­rupt und unbeliebt (die Zeitung Poli­tico bezeich­nete Bulga­rien im September 2020 als „Mafia­staat“), aber der Anspruch auf Make­do­nien eint das Land. Die Führung will die Mitglied­schaft in der EU benutzen, um über Geschichts­po­litik die natio­nale Iden­tität der ethni­schen Makedonier zu beein­flussen. Grie­chen­lands Erfolg in der Namens­frage und bei der Inter­pre­ta­tion der antiken Geschichte dürfte eine wich­tige Lektion gewesen sein: Gemäß dem Abkommen von Prespa muss Make­do­nien die grie­chi­sche Sicht auf die Vergan­gen­heit auf seinem Terri­to­rium durch­setzen; die domi­nante Seite defi­niert, was die histo­ri­sche Wahr­heit ist. Bulga­rien nutzt seine Stärke eben­falls, um dem poli­tisch schwa­chen Nach­barn die eigene Deutung aufzuzwingen, wobei es diesmal um das ausge­hende 19. und das 20. Jahr­hun­dert geht. Nach bulga­ri­scher Lesart gab es bis 1944 keine make­do­ni­sche Nation, viel­mehr ist diese eine Erfindung der jugo­sla­wi­schen Kommunisten, genauso wie die make­do­ni­sche Sprache, weshalb diese in keinem EU-Dokument erwähnt werden dürfe. Da es aus bulgarischer Sicht keine make­do­ni­sche Nation gibt, „stiehlt“ die Geschichts­schrei­bung Makedo­niens bulga­ri­sche Geschichte, wenn sie den Kampf gegen die Osmanen in Make­do­nien als makedonisch bezeichnet und dessen Helden als Makedonier.

Anlass zur Unzu­frie­den­heit gibt auch die make­do­ni­sche Sicht, dass Make­do­nien im Zweiten Welt­krieg vom mit Deutsch­land verbün­deten (pro-)faschis­ti­schen Bulga­rien besetzt wurde, während es nach bulga­ri­scher Lesart „befreit“ wurde. Der Hinweis darauf, dass die bulga­ri­schen Besatzer gemeinsam mit deut­schen Stellen mehr als 7000 make­do­ni­sche Juden in den Tod nach Treb­linka depor­tierten, wird als „hate speech“ gebrandmarkt.

Unter­schied­liche Inter­pre­ta­tionen der Vergan­gen­heit sind nichts Außer­ge­wöhn­li­ches und werden immer wieder poli­tisch instru­men­ta­li­siert, gerade wenn es um Staaten geht, die erst­mals unab­hängig werden und ein eigenes Geschichts­nar­rativ entwi­ckeln. Im Falle Make­do­niens nimmt die innen­po­li­tisch moti­vierte Geschichts­po­litik der Nach­barn Grie­chen­land und Bulga­rien aller­dings bisher nicht gekannte und bedroh­liche Dimen­sionen an. Make­do­nien ist seit seiner Unab­hän­gig­keit genö­tigt, einen Kampf zu führen, der nicht zu enden scheint. Die Inter­ven­tionen der Nach­bar­staaten unter­mi­nieren die Stabi­lität des Landes, indem sie die wirt­schaft­liche Konso­li­die­rung behin­dern und die poli­ti­sche Elite des Landes vor zusätz­liche schwie­rige, kaum lösbare Probleme stellen. Die Bevöl­ke­rung fühlt sich durch die Nach­barn und die inter­na­tio­nale Politik gede­mü­tigt und ist im Hinblick auf die Zukunft des Landes desil­lu­sio­niert; wer kann, verlässt das Land.

Die EU, mit Problemen an allen Ecken und Enden konfron­tiert und erwei­te­rungs­müde, lässt Bulga­rien gewähren, so wie zuvor Grie­chen­land. Sie vertut die Chance, ener­gisch als stabi­li­sie­render Faktor aufzu­treten und so ein Signal an den gesamten Balkan auszu­senden. Sie stellt sich auf den klein­mü­tigen Stand­punkt, es handle sich um bila­te­rale Probleme, welche die Länder unter­ein­ander lösen sollten. Es waren Tsche­chien und die Slowakei, unter­stützt von Öster­reich, die sich im Dezember 2020 dagegen zur Wehr setzten, dass die EU die Inter­pre­ta­tion der Geschichte zum Aufnah­me­kri­te­rium machte: „We will not allow the [Euro­pean] Union to be the judge of our shared history, how we iden­tify ourselves, or the language we use. These issues belong to the parties concerned and we are here to support them“. Am bulga­ri­schen Veto hatte das nichts geän­dert, es wurde am 22. Juni 2021 einmal mehr bekräftigt.

Nikoloski ergänzt abschließend, dass im vergangenen Jahr die französische Ratspräsidentschaft gemeinsam mit der EU-Kommission eine höchst problematische „Lösung“ für die Beendigung des bulgarischen Vetos gegen den Beginn von EU-Verhandlungen mit Makedonien durchgesetzt hatte. Das bulgarische Parlament hatte demnach zwar mehrheitlich für die Aufhebung des Vetos gestimmt, doch die politischen Kosten sind sowohl für die bulgarische als auch für die makedonische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit exorbitant, und die „Lösung“ widerspricht zudem den europäischen Werten. Demnach muss nämlich jetzt die makedonische Verfassung nach den Wünschen Bulgariens geändert werden, wozu es eine Zweidrittelmehrheit braucht, über die die derzeitige Regierung unter Dimitar Kovačevski gar nicht verfügt. Der Ball wurde damit einfach den Makedonier zugespielt, ohne dass diese jedoch weiterspielen können. Denn die Opposition wird der Verfassungsänderung kaum zustimmen. Inhaltlich ist der Kompromiss-Vorschlag auch problematisch. Denn er sieht vor, dass die nationalistischen Forderungen Bulgariens, bei denen es darum geht, den makedonischen Staat Identitätskonzepte und Geschichtsbilder aufzudrücken, nun auch von der EU-Kommission – insbesondere vom ungarischen antiliberalen Kommissar Oliver Varhélyi – unterstützt werden. So sollen „Bulgaren“ als Volksgruppe nun auch in die makedonische Verfassung aufgenommen werden. Unter dem vom makedonischen Parlament angenommenen Kompromiss-Vorschlag wird aber das bulgarische Veto zum ersten Mal von der EU gestärkt und legitimiert, indem Identitäts- und Geschichtsmobbing in den Beitrittsprozess aufgenommen werden.

Der Vorstand des Zentralrats der Makedonen in Deutschland dankt Frau Dr. Boškovska für dieses äußerst interessante Treffen.

Nada Boškovska kam 1959 in Bitola zur Welt und lebte bis 1968, als sie und ihre Mutter zum Vater in die Schweiz übersiedelten, in Babino. Sie absolvierte ein Studium der Allgemeinen Geschichte mit Schwerpunkt Osteuropa, Slavistik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Zürich. 1984–85 vertiefte sie ihr Studium in Leningrad und Moskau. Im Jahr 1987 schloss sie das Studium mit dem Lizentiat ab. Von 1989 bis 1990 war Boškovska Gastwissenschaftlerin an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und arbeitete an ihrer Dissertation Die Lebenswelt der russischen Frauen im 17. Jahrhundert. Im Jahr 2002 habilitierte sie sich mit einer Schrift zum Thema „Das jugoslawische Makedonien 1918–1941. Eine Randregion zwischen Repression und Integration„. Im Jahr 2003 erhielt Boškovska eine Förderprofessur des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) am Institut für Geschichte der Universität Bern. Im selben Jahr wurde sie auf den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich berufen.