Bericht des deutschen militärischen Geheimdienstes aus dem Jahr 1943 über den Widerwille der Makedonen gegenüber den bulgarischen Besatzern

Der ehemalige Journalist, Politologe, Historiker und Autor, Dr. Mitko Jovanov aus Stuttgart erläutert die Beziehungen zwischen Makedonen und den bulgarischen Besatzern anhand eines Berichts des deutschen militärischen Geheimdienstes in der Reichswehr und Wehrmacht aus dem Jahr 1943, welches Thema seiner Doktorarbeit ist mit dem Titel „Die makedonische Frage und IMRO in der deutschen Außenpolitik auf dem Balkan von 1933 bis 1944“.

Ein Bericht vom 28. September 1943 des deutschen Heeresgruppenkommandos Südost mit Sitz in Belgrad, der sich mit der Lage in Makedonien befasst, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Widerstand der Makedonen gegen die Bulgaren. Der Kommandeur für den Südosten informiert seine Vorgesetzten in Berlin über die wachsende Abneigung der Makedonen gegenüber den Bulgaren und den zunehmenden Widerstand der makedonischen Bevölkerung ihnen gegenüber. Der Bericht besagt „die Ablehnung der Makedonen gegenüber den Bulgaren hat viele Gründe. Eine davon ist die bulgarische Haltung gegenüber den Makedonen. Aus vielen Gründen werden die besten und profitabelsten Positionen in der Staatsverwaltung in Vardar-Makedonien von den Bulgaren besetzt, während die Makedonen in eine untergeordnete Position versetzt werden. Makedonen können diese Situation nicht akzeptieren. Makedonen empfinden dieses Verhalten der Bulgaren als Demütigung und Beleidigung. Sie können sich keineswegs damit versöhnen und akzeptieren, dass sie von den Bulgaren befreit worden seien, wie die bulgarischen Behörden bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholen. „Man kann frei sagen, dass die Bulgaren, die zum Dienst nach Vardar-Makedonien kamen, aufgrund ihres Verhaltens von der makedonischen Bevölkerung als geizig, unzugänglich, unsozial und oft als ablehnend angesehen wurden“, erklärt Jovanov.

Ihm zufolge fällt es den Makedonen gerade wegen solcher Eigenschaften und Verhaltensweisen sehr schwer, Bulgaren zu akzeptieren.

Andererseits greifen die Bulgaren die Makedonen an, weil sie den Serben zugeneigt seien und während der Herrschaft Serbiens viele serbische Züge wie Faulheit, Trunkenheit, Wankelmütigkeit, Nachlässigkeit usw. angenommen hätten. Und die Bulgaren haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese Gewohnheiten der Makedonen auszurotten, um sie zu vorbildlichen Menschen zu machen. Doch die Bulgaren irren sich, denn die Makedonen akzeptieren nicht „die Wahrheit“, die ihnen Bulgarien zeigt, weshalb die bulgarische Polizei immer gewalttätiger gegen die Bevölkerung vorgeht. Die Bulgaren terrorisieren die Makedonen auch deshalb, weil sie die serbische Sprache verwende, die in den letzten 25 Jahren die offizielle Sprache in Vardar-Makedonien war. Bulgaren malträtieren Makedonen, weil sie serbische Wörter aussprechen. Bulgarische Lehrer, die an die Schulen nach Makedonien geschickt werden, indoktrinieren auf brutaler Weise die Schüler, um aus ihnen Nationalisten und Chauvinisten zu machen. Das ultimative Ziel ist es, Makedonen dazu zu bringen, Serben zu hassen. Diese Praxis führt sogar zu innerfamiliären Konflikten, zu angespannten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Aufgrund des wachsenden Widerstands der Bevölkerung begannen die Bulgaren, verschiedene Klischees zu verbreiten und die Makedonen als inkompetente Menschen zu behandeln, die von den Serben verführt worden seien. Auf diese Weise versuchen die Bulgaren den Makedonen das Gefühl zu geben, dass sie weniger wert sind, und hoffen so sie leichter zu unterwerfen.

Der Bericht besagt, dass die Bulgaren die Makedonen mit den gleichen Methoden behandeln wie zuvor die Serben. Deshalb ist die Reaktion der Makedonen gegenüber den Bulgaren bis 1941 die gleiche wie gegenüber den Serben. „Die Makedonen haben bis 1941 versucht, die Serben loszuwerden, und jetzt kämpfen sie erneut, um die Bulgaren loszuwerden“, schreibt Jovanov in seiner Doktorarbeit.

Die vorherigen Forschungen von Dr. Mitko Jovanov in den Archivdokumenten des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland resultierten in die Masterarbeit mit dem Thema: „Die makedonische Frage in der Balkanpolitik Deutschlands von 1919 bis 1933″ (Amtsblatt der Republik Makedonien, Skopje, 2009).

Die Archivdokumentation bestand hauptsächlich aus Analysen, die vom Auswärtigen Nachrichtendienst erstellt worden sind, des Weiteren aus Berichten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, aus Berichten der akkreditierten deutsche Diplomaten in den Balkanländern, sowie aus anderer diplomatischer Korrespondenz – Telegramme, Notizen und die, die sich auf die politische Sicherheitslage auf dem Balkan beziehen, zur historischen Entstehung der makedonischen Frage, zur makedonischen revolutionären Bewegung und zu Gefahren, die in der makedonischen Frage enthalten sind, welche Folgen es nach dem Frieden auf dem Balkan und darüber hinaus hat, Perspektiven und Möglichkeiten ihrer Lösung, um ihre Etablierung dauerhaften Friedens auf dem Balkan zu ermöglichen.

Bild: Masterarbeit „Die makedonische Frage in der Balkanpolitik Deutschlands von 1919 bis 1933“ (Македонското прашање во политиката на Германија на Балканот во периодот од 1919 до 1933 година)

Der Bericht führt weiter die Konsequenzen aus, die sich aus dem Verhalten der Bulgaren ergeben.

Durch die schlechte Haltung der Bulgaren gegenüber den Makedonen und die täglichen Schikanen entwickeln immer mehr Menschen Sympathien für die Serben. Die serbische Sprache werde zunehmend von Menschen verwendet, die nach ihrem bisherigen Benehmen zumindest als pro-serbisch bezeichnet werden können.

Große Städte wie Prilep, Veles, Štip und andere, in denen, wie Bulgarien behauptete ihren größten Einfluss habe, begannen gerade diese Orte den stärksten Widerstand zu leisten. Anlässlich eines religiösen Feiertags in einem Kloster in der Nähe der Stadt Kriva Palanka versammelten sich junge Menschen auf dem Kirchhof und begannen serbische Lieder in Revolte gegen die Bulgaren zu singen. Aufgrund dieses Verhaltens startete die bulgarische Polizei eine gewalttätige Aktion und nahm einige Personen fest.

„Im ersten Jahr nach dem Einmarsch der Bulgaren in Vardar-Makedonien betrachtete die Mehrheit der Makedonen sie als eine ihnen aufgezwungene fremde Macht. Eine solche Haltung der Makedonen gegenüber den Bulgaren äußerte sich in Unzufriedenheit und Widerstand mit dem Ziel die Bulgaren zu vertreiben und in die Bestrebungen zur Erreichung der Unabhängigkeit durch die Bildung eines eigenen unabhängigen makedonischen Staates. Die kommunistische Ideologie hatte einen zunehmenden Einfluss auf den Widerstand der Makedonen gegen die Bulgaren„, schreibt Jovanov.

In seiner Doktorarbeit, fügt Jovanov hinzu, dass „die Idee der Unabhängigkeit in der makedonischen Bevölkerung immer mehr verbreitet wurde und großem Einfluss hatte, deren Verwirklichung sie in der Erlangung der vollen Autonomie innerhalb eines südslawischen Staates sieht.“

„In der Bevölkerung überwiegt bereits der Wunsch nach Unabhängigkeit von Bulgaren aber auch von Serben. Sie wollen ihr Schicksal selbst bestimmen. Die Bewegung, die diese Ideologie befürwortet und verbreitet, besteht in erster Linie aus Intellektuellen und wird von mindestens 80 % der Bauern unterstützt, die auch ihre Anhänger sind. Die Bewegung wird von Tag zu Tag massiver. In jeder Stadt gibt es bereits Organisationseinheiten, die an der Verwirklichung des Hauptziels – der Errichtung eines unabhängigen makedonischen Staates – mitwirken. Diese Welle ist nicht mehr aufzuhalten, egal wie sehr Bulgarien Repression einsetzt. Die Idee eines makedonischen Staates wird ein ständiger Faktor für Unruhe auf dem Balkan sein, wenn sie nicht verwirklicht wird. Das Dritte Reich kann die Verwirklichung dieses Ziels der Makedonen ermöglichen, wenn Bulgarien, wie es selber ankündigt, aus dem Bündnis mit uns austritt. Sonst muss Deutschland Zwangsmaßnahmen gegen Bulgarien ergreifen, um den Wunsch der Bevölkerung nach einem makedonischen Staat zu verwirklichen„, schreibt Jovanov.

Die Analyse betont, dass Italien sich dem Bestreben der Makedonen nach einem eigenen Staat bis zu seiner Kapitulation mit großer Bedeutung annäherte. Und dass viele Makedonen hoffen, dass ihr Wunsch nach einem eigenen Staat die US-Amerikanern und Briten zustimmen werden, wenn sie am Kriegsende entscheiden.

Karte: Jugoslawien und Griechenland 1942-1945

Der Oberbefehlshaber des deutschen Heeresgruppenkommandos Südost kommt zu dem Schluss:

Die Mehrheit der Bevölkerung widersetzt sich den Bulgaren und es wird immer massiver. Die Bulgaren sollten sich schon jetzt bewusst sein, dass Bulgarien für die makedonische Bevölkerung unannehmbar ist und die Realität akzeptieren muss, denn es hat sich gezeigt, dass Makedonen sich weigern, Bulgaren zu werden. Die Feststellungen des deutschen Militärs und anderer Offiziere, die in Makedonien in Dienst waren, dass die Bevölkerung in Makedonien kein bulgarisches Nationalbewusstsein besitzt, werden auch in dem Bericht des deutschen Wehrmachtskommandos für Bulgarien an den deutschen Attaché in Sofia erwähnt. Der Bericht bezieht sich auf die politische Situation an der Grenze zwischen Makedonien und Albanien. Darin wird von den Versuchen Bulgariens gesprochen, die makedonische Bevölkerung als bulgarisch darzustellen, und nutzt dazu die in diesen Gebieten weitgehend bestehenden feindlichen Beziehungen zwischen Makedonen und Albanern aus, das heißt, dass Bulgarien sich als Beschützer der Makedonen durchzusetzen versucht, um somit die Makedonen zu den Bulgaren zu zählen.

In dem Bericht heißt es weiter:

Trotz der Behauptungen Bulgariens, dass es sich in diesen Teilen Makedoniens um eine bulgarische Bevölkerung handelt, sieht die Realität völlig anders aus. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung ist pro-bulgarisch. So ist auch ein kleiner Teil pro-serbisch. Aber die meisten Makedonen bekennen sich zu einem eigenen unabhängigen makedonischen Staat. Die meisten Befürworter eines unabhängigen Staates sind von der kommunistischen Ideologie durchdrungen. Die Kommunisten sind das führende Element in der Bewegung zur Schaffung eines makedonischen Staates.

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass sich die aktuelle Situation im Vergleich zu der von 1918, als Serbien Vardar-Makedonien besetzte, dramatisch verändert hat. Ein Teil des Einflusses, den Bulgarien vor 1918 hatte, ist heute weitgehend verloren:

Bulgarien versteht die Verhältnisse nicht, die heute in Makedonien vorherrschen. Sie kann nicht verstehen, warum die Mehrheit der Makedonen sich mehr und mehr pro-kommunistisch orientiert. Der Grund für die Unterstützung der Makedonen für die Kommunistische Partei geht auf die Zeit vor dem Krieg zurück. In den Jahren unter serbischer Herrschaft wandten sich die Makedonen den Kommunisten zu, weil die bürgerlichen Parteien eine großserbische Ideologie vertraten und hauptsächlich gezielt gegen die Makedonen chauvinistisch vorgegangen sind. Im Gegensatz zu diesen Parteien erkannte die Kommunistische Partei ihren Wunsch an, einen eigenen Staat zu gründen.

Die Dissertation wurde 2019 an der Philosophischen Fakultät in Skopje verteidigt, unter der Betreuung von Prof. Dr. Nikola Žežov

Die Doktorarbeit befindet sich im Repositorium gesammelter Werke der Universität „Sv. Kiril i Metodij“ – Skopje:

https://repository.ukim.mk/